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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ihre geistige Verwirrung komme daher, daß sie zu wenig trinkt.
     
    Unsere Atomuhren haben sich tatsächlich selbst vorgestellt in der Nacht. Ich werde noch mehr von diesen Dingern kaufen. In jedem Zimmer eine.
    «Voll von Wundern war mir die Welt …», und täglich kommen neue dazu. Anderes sinkt in die Tiefe ab, und kein Schleppnetz holt es wieder herauf.
     
    2007: Jetzt kosten diese Uhren 25 Euro. Als sie aufkamen, mußte man 5000,- hinblättern. So ist das jetzt auch mit den Mäusekinos, den Navigationshilfen in den Autos. Das erste Ding, was ich sah (und das nicht richtig funktionierte zum Ärger des«Halters») – weiß nicht, das hat bestimmt auch 1000 Mark gekostet, und jetzt kriegt man sie für 300 Euro. Sogar unser Haus ist auf den Dingern verzeichnet. Was sagt da der Datenschutz? Der besteht wohl nur noch aus dem«Beauftragten». Im Grunde kann der sich aufhängen. Und wie die sich mit dem Telefonbuch hatten! Alles schon vergessen?
     
    Ich las am Nachmittag«Unordnung und frühes Leid»in der von Karl Walser illustrierten Originalausgabe und genoß die Raffinesse, mit der dieses kleine Stück erzählt ist. Ich verstehe übrigens nicht, daß Thomas Manns Kinder das Buch übelgenommen haben. Es ist doch sehr liebevoll geschrieben. Auch ein Stück Zeitgeschichte. Inflationszeit.
    Ich möchte so gern, daß eines meiner Bücher illustriert wird, einen Kompagnon haben – Versuche in dieser Richtung waren entmutigend.«Margot»-Holzschnitte von Eirich ausgenommen. Aufwertung eines Buches durch Buchschmuck. Es gibt einen Versuch von mir, ein«Aus großer Zeit»-Buch herzustellen mit anonymen Fotos. Fotos dem Roman zu unterlegen.
    Wie die Oldenburger Studenten guckten, als ich ihnen von mittelalterlichen Handschriften erzählte!
     
    2007: Das Experiment liegt jetzt in Berlin.
     
    Bücher geordnet, immer eine angenehme Beschäftigung. Man repetiert die Bestände und die Inhalte. Danach ging ich spazieren und tat am«Echolot»einiges. Kümmerte mich um den«Anhang»der ersten Tage. Die Presseverlautbarungen aus dem Goebbels-Büro sind sehr hilfreich. Da sie noch nicht publiziert sind, wird deren leicht gekürzte Aufnahme die Fachleute vielleicht interessieren. Ihr unterhaltender Wert ist groß. Die Wehrmachtsberichte nehme ich stark gekürzt auf.«Aus dem Wehrmachtsbericht», wird es heißen. Ich glaube allerdings, daß allein die Einzelschicksale die ganze Sache tragen. Irgendwelche chronikalen Stützen in Form von«Zeitleisten»etc. brauchen wir nicht. Auf so was kommen Schulmeister. Die meisten Großereignisse werden aus den privaten Aufzeichnungen deutlich. Die Kunze und Mrongovius – es wird ein Geschichten-Dschungel, in den man sich hineinwühlen soll, wie mit einem Boot soll man sich ins Schilf hineinrascheln. Vermutlich wird man später sagen:«Nun ja, da sieht man’s mal wieder: Er ist ein Sammler.»Man wird den Anteil der kompositorischen Ideen nicht sehen. Je«einfacher», schlichter das Endergebnis aussehen wird – desto eher wird man es unterschätzen.
     
    KF rief an, Hildegard sprach mit ihm. Er ist der einsame Wolf, in der Tat, als den er sich selbst bezeichnet. Eltern machen grundsätzlich alles falsch. Nicht alles – sie machen gerade so viel falsch, daß es den Kindern später möglich ist, sich positiv gegen sie abzuheben. Ein liberaler Vater macht es seinem Sohn besonders schwer. Besser wäre es gewesen, ich hätte mich ab und zu vergessen , dann hätte er jetzt nicht solche Profilierungsschwierigkeiten. – Was er auch macht, immer wird es ihm von Vaters Seite zuschallen: Ick bün all dor!
    Er ist jetzt beim«Sirius», und ich muß mich zusammennehmen, daß ich ihn nicht dauernd frage:«Erzähl mal, was sagst du dazu? Wo bist du gerade?»Gestern hatte er es mit den Düsenjägern, die sich in der Luft aalen. – Von anderer Seite ist mir das (in den«Hundstagen») schon mal angekreidet worden:«Aalen»lasse sich nur als Vergleich mit Dingen aus dem Wasser verwenden!
    Ich bin traurig, wenn ich an den lieben KF denke. Als Schüler schon, 1943, mußte ich lange weinen, als ich den Film«Friedemann Bach»sah. Genau das ist seine Schwierigkeit. Vielleicht habe ich damals schon diese Erschütterung gehabt im Vorahnen seiner Probleme. Wolfgang Moll, der damals neben mir herging, sagte:«Kempi, Kempi …»Die Tränen waren nicht zu stillen. – Ich nahm den Film vorgestern mit dem Recorder auf, da stellte sich die Erschütterung sofort wieder ein. Ich sah mich mit meinem Freund die

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