Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
daß in Kriminalfilmen alle Fälle aufgeklärt werden, und mögen sie noch so kompliziert liegen. Daß man den Täter«kriegt», das ist so zum Gesetz geworden wie in Liebesfilmen das Happy-End. – Wenn nicht die schöne«Dingsda»-Sendung gewesen wäre, in denen Kinder den Erwachsenen Begriffe zum Raten aufgeben. Leider werden die Kinder von Sendung zu Sendung affiger. Die Erwachsenen hingegen, soweit es sich um Frauen handelt, tapern in dieser Sendung wie Zombies daher (die Tschechowa!). Caterina Valente ging noch. Auch so eine komische Tante. Aber singen kann sie gut. Die Männer sind immer noch einigermaßen auszuhalten.
Hund:«Wau! Wau! Wau!»
Hildegard:«Watt?»
Hildegards sehnlichster Wunsch: So oft, wie man am Tag ißt, müßte man auch seinen Geist füttern. Nicht nur drei- bis viermal Sprüche lesen, Aphorismen oder sogenannte«Weisheiten des Ostens».
Einen Kalender für die verschiedenen Mahlzeiten, schlägt sie vor.
Ohnmächtiges Entsetzen, sagt Frau Weirich zur Ermordung von Rohwedder.
«Entsetzen»,«Trauer».
«Was ist das nur für eine Welt...»
Der Grad des Mitleids richtet sich nach dem Aussehen des Opfers.
«Das hatten wir nicht gewollt.»
2007: Ob es eine Rohwedderstraße gibt in unserer Republik? Oder einen Schleyerplatz? Eine Dutschkestraße gibt es in Berlin.
Nartum Mi 3. April 1991
Heute war Herr Schmidt von der Filmfirma Schmidt & Co. hier, er brachte Jörn Klamroth mit vom WDR. Sie wollten wieder einmal Ideen. Ich lieferte ihnen Vorschläge für Serien.
1. Der Rote Lappen
2. Triumph des Willens
3. Troll
4. Die lustige Acht
5. Laubenpieper
6. Vermißt
Dazu meine Autobahnkreuze und meinen Autorenfilm und das Kulturfilmprogramm (Kulturfilme aus den alten Archiven, Nazizeit). Sie zahlten mir für jeden Tag 2500,- und fuhren hochbeglückt von dannen.
Sehr anstrengend, aber auch Spaß machend.
Am Abend saß ich am«Echolot»und brachte Mrongovius ein. Rief ihn auch an, er hat Depressionen, sagt er. Wenn man 80 ist und all das hinter sich hat, dann ist das verständlich.
Die Herren Schmidt und Klamroth hatten den«Sirius»gelesen, vielleicht war ihr Besuch darauf zurückzuführen. Sie zitierten wechselseitig daraus.
Klamroth erzählte von unglaublichen Orgien der Gewerkschafter, über die ein Film gemacht wird: 4,6 Mio. Gehalt im Jahr hat der Otto zuletzt bekommen.
Hildegard meint, mein nervöser Zustand sei«psychisch»gewesen. Was mich ärgerte. Zustand ist Zustand, ob nun psychisch oder nicht.
Entdeckte, daß meine sämtlichen Videokassetten unbrauchbar, offenbar durch einen Magneten zerstört. Sehr ärgerlich. Rätselhaft. Dann hat es also unter den zahllosen Besuchern hier doch einen Bösewicht gegeben.
Brief von Schneeweiß, der nicht kapiert hat, daß Polyphon seinen«Hundstage»-Entwurf ablehnt.
Paule«riß»ein Fasanjunges. Ich habe sehr mit ihm geschimpft.
Immer noch Briefe zum«Sirius». Eine Frau, die aus persönlichen Gründen mit dem«Sirius»-Jahr verbunden sei.
2001: Noch heute kommen Briefe zum«Sirius». 2004: Leute, die sich beschweren, daß das Buch vergriffen ist.
Wir aßen bei Köhnken einen gebratenen Camembert.
Die Rollstuhlfahrer wären von allen Schwerbehinderten die aggressivsten, sagte die Bedienung.
Kennt ihr das Lied von jenem Rattenfänger,
der mit Musik
die Herzen stahl?
In jedem Lied
hat er auch Doppelgänger
unübersehbar ist ihre Zahl.
1943 mit Kirsten Heiberg.
Nartum Do 4. April 1991
Jahrestag der Pionierorganisation der Republik Kuba Nationalfeiertag der Ungarischen Volksrepublik
Jetzt ist Max Frisch gestorben. Nun werden wir also wochenlang mit dessen Erzeugnissen geelendet.«In Abänderung unseres Programms.»In den Nachrichten wurde sogar sein Kinderstundenstück«Biedermann und die Brandstifter»als besonders wertvoll herausgestellt, dieser Schinken!
2001: Zehn Jahre tot. Noch einmal wird alles wiederholt, wochenlang. Eine ganze Schülergeneration wurde mit Frisch und Böll geelendet.
2007: Zu Frisch gibt’s mit der Zeit Nachrichten, die ihn in ganz anderem Licht erscheinen lassen. Sympathischer.
Morgens«Echolot»(Mrongovius entdeckt), nachmittags zwei Stunden geschlafen und dann vier Seiten M/B.
Abends rumgesessen.
Nartum Fr 5. April 1991
Heute war Requiem für Max Frisch. War er denn katholisch? In der Zeitung stand, Frischs Bücher/Dramen seien meistens sofort in den Schullesekanon aufgenommen worden. Schrecklich! Wahrscheinlich sind sie
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