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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Friedrich-Franz-Straße entlanggehen, die dann drei Jahre später in August-Bebel-Straße umbenannt wurde. Machen Tiereltern auch alles falsch? Sie machen nicht viel Federlesens, heißt es.
     
    TV: Walser-Film, letzte Nummer der Tassilo-Serie. Sehr schön gemacht, die großen Schauspieler und ein gutes Drehbuch.
     
    2007: Keine Erinnerung mehr daran.
     
    Ich werde den Leuten vom WDR nächste Woche drei Serienprojekte vorschlagen:
    1. Laubenpieper: Das Leben und Treiben in einer Schrebergartenkolonie
    2. Die lustige Acht. Ein Kammerorchester mit einem alten Bus auf Reisen, was da so alles passiert. Könnte man endlos in die Länge ziehen.
    3. Das Gasthaus zum Roten Lappen. Eine mittelalterliche Sache, einsam, Mord und Totschlag, Musik, Dreck, Aberglaube …
     
    Dem letzteren Vorschlag gehört meine Sympathie. Er wird in hohem Maße von Musik leben, so wie der Barock-Krimi von dem Engländer da, wie heißt er noch?
    Heute wird«Münchhausen»gegeben, 1943, ich sehe den Film zum ersten Mal. Damals waren Jugendliche nicht zugelassen. Marianne Simson spielt mit, von der später dann gesagt wurde, sie sei eine Nazi-Denunziantin gewesen und hätte nach dem Krieg in Italien einen Puff aufgemacht. Wie Ilse Werner war sie ein Prototyp des«jungen Mädchens»der dreißiger, vierziger Jahre. Auch Rotraut Richter.
     
    Hildegard findet das Seestück nun auch ganz hübsch. Aber für das Geld würde man sicher«an jeder Ecke»andere schöne Bilder finden, meint sie. Weiß nicht, was sie damit sagen will. Immerhin, sie hat sich ausgesöhnt.
     
    «Seltsam!»sagt Hildegard.«Die Schafe gehen nicht in unseren 500-Marks-Stall, sondern bleiben im Regen stehen.»In die grün-weiß gestrichene Laube (3500,-) würden sie vielleicht gehen und sich dort hinsetzen und Karten spielen.
     
    Vormittag in Bremen, Huchting, Antikmarkt. Ich kaufte ein paar Fotoalben für insgesamt 50,-, Hildegard einen kleinen Ring. Zu zweit läuft man nicht gut durch das«Ameisengewirr»(Hildegard).«Guck mal hier»,«Guck mal da»- das stört die Andacht.
     
    «Hessen A4, Eisenach in Richtung Kirchbach Stau», sagt das Radio. Eisenach! Daran kann ich mich noch immer nicht gewöhnen, daß die Wartburg jetzt ohne weiteres zu erreichen wäre. Was oder wer hindert mich daran, sofort nach Eisenach zu fahren? Aber die Wartburg ist dann wahrscheinlich gerade geschlossen.
    Am Nachmittag dann allein im Haus. Ich trank meinen Kaffee und sah die Fotoalben an (eine Straßenaufnahme darin) und bearbeitete den 11. Januar 1943 des«Echolot», eine schwierige Sache, weil keine eindeutige Tendenz.
    Am Abend dann den langweiligen«Münchhausen»-Film. Das anachronistische Element darin stört sehr.

Nartum Di 2. April 1991
     
    6.30 Uhr. – Ich wachte davon auf, daß mich Wieser angriff, daß er sagte, ich sei kein ernst zu nehmender Schriftsteller, eine Null usw.
     
    7 Uhr: Eben kommt die Nachricht, daß sie Rohwedder ermordet haben. Merkwürdig, daß bisher kein Mordanschlag auf alte SED-Größen verübt wurde. Immerhin, es hat ein paar Selbstmorde gegeben. Rohwedder war 58 Jahre alt. Nun hat die Presse wieder was:«betroffen»,«unbegreiflich»,«zutiefst erschrocken», das sind so die Wörter, die zum Kanon gehören. Ich würde sagen:«Schweinerei.»
     
    Das war heute ein rechter Idiotentag.
    «Echolot»: Der 12. Januar war sehr schwierig zu ordnen, auch zeitaufwendig, weil zu lang. Allerlei mißriet mir, wie das dann so ist. Zwischendurch noch zu einer inquisitorischen TV-Aufnahme in Bremen, Leute, mit denen man es sich nicht verderben möchte. Ich wurde über Rostock verhört:«Was bedeutet Ihnen Rostock?», so in diesem Stil.
    Dann weitergearbeitet, bis 9 Uhr. Dazwischen Hungeranfälle größten Kalibers, stoffwechselig und sowieso, da seit Tagen nur immer Kartoffelbrei.
    Am Abend idiotisches Fernsehen, der gutgelaunte Lafontaine wurde von einer gutgelaunten Interviewerin zum Lachen gebracht, zwischendurch kochte er Spaghetti. Ach, wie lachte er von ganzem Herzen! – Daneben ein Spielfilm über Vincent van Gogh und Gauguin. Die Darsteller liehen sich die Bedeutung dieser Künstler, sie wurden vom Regisseur zu wüstem Tun angefeuert. Dazwischen Nachrichten über den armen Rohwedder, der Polizeischutz immer abgelehnt hat. Ringfahndung und all diese doch nicht greifenden Maßnahmen. Und die Angst der dummen Gewerkschafter, daß dies vielleicht mit ihren wirklich erzdummen Montagsmärschen zu tun haben könnte. Sie wollen sie einstweilen einstellen. Wie merkwürdig,

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