Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
der Datenschutz ist dagegen.
Post eines Dänen, der den«Tadellöser»gelesen hat. Bratkartoffeln mit Quark.
Nartum Sa 27. Juli 1991, schön
Verstimmung hält an. Ich vermeide Valium, versuche mich so durchzulavieren.
«Echolot»: Der Druck ist enorm. Die Leidensessenz der vielen Schicksale kristallisiert sich in meiner Seele. Dazu von außen, Steuerprüfung ist fällig, wegen Lohnsteuer. Nun werde ich noch dafür bestraft, daß ich den Menschen Arbeit gebe.
Der Knall neulich, der Blitz, das war der Kulminationspunkt. Das war die Höhe.
Die Schwägerin hat mit meinen Schwierigkeiten nichts zu tun. Einer trage des anderen Last. Wo ist das geblieben, was man«christliche Erziehung»nennt?
Aus Leipzig kommt die Nachricht, daß das Johannes-R.-Becher-Institut neu gegründet werden soll. Mir fällt auf, daß kein großer Schriftsteller da mitmacht. Werden sie vielleicht nicht gefragt? – Daß ich mit meiner Ost-Vergangenheit und meiner Erfahrung auf dem speziellen Gebiet nicht gefragt werde, ist wohl selbstverständlich.
Die Hungerbilder aus Äthiopien. Was sind das für Menschen! In kaltschnäuzigster Weise kassierten die Regierungsbeamten die Hilfsgüter, die eigentlich den Elenden zugute kommen sollten. – Eine leere Halle wurde gezeigt: Hier sollen eigentlich 345 to Hilfsgüter lagern.
Die Serben haben einen deutschen Reporter abgeknallt.
Dieter Kühn möchte gern Jazzpianist sein, und seine Lieblingsfarbe ist changierendes Blau (FAZ).
Nartum So 28. Juli 1991, schön
Der Selbstvernichtung nahe.
Vor einigen Tagen im Fernsehen war zu sehen, wie Israelis palästinensische Bauern behandeln. Sie müssen ihr Haus selbst abreißen.
Ein-Stunden-Sendung über Stefan Heym. Was Menschen sich alles leisten können, wenn es nur im Trend liegt.
Es ist genug. 22 Bücher geschrieben, 7 Hörspiele, 20 Jahre Lehrer, 10 Jahre Oldenburg, 35 Seminare, 8 Jahre Zuchthaus, ein Haus gebaut, ein Archiv gegründet. Mehr gibt die Kraft nicht her.
Erst jetzt werden in Berlin die Straßennamen geändert.
2007: Nicht alle!
M/B: Er stellte sich eine Vergewaltigung dieser Frau wie einen Hahnentritt vor, mit gewaltigem Federngepluster.
M/B: Vielleicht sollte ihnen das Auto gestohlen werden? Aber das bringt die Handlung nicht weiter.
Seglerparade in Rostock. Wie eitle Vögel brüsten die Schiffe sich auf und ab. Fehlte bloß, daß sie wie die Vögel in ein Balzzittern ausbrächen.
Eine Million Zuschauer. Wenn schon kein panem, dann wenigstens circenses.
Ein Lager in Albanien, in dem Leute schon seit 35 Jahren gefangengehalten werden. Hütten mußten sie sich aus Lehm bauen. Auch ein Ruhmesblatt der Kommunisten.
Jetzt, wo der Spuk vorüber zu sein scheint, packt mich erst die kalte Wut über das 68er-Intellektuellenpack. Ich hätte die größte Lust, den«Alkor»zum Abrechnungsbuch zu machen, würde mich nicht scheuen, denunziativ zu werden. Die Liste ist lang genug.
TV: Fink, der Rektor der Humboldt-Universität.
Sie klagen, daß so viele Hochschullehrer gehen müssen, und der Moderator klagt auch. Kein Wort wird darüber verloren, daß diese Leute in widerwärtigster Weise die«reine Lehre»mit Füßen traten, den eingeschüchterten Studenten wider besseres Wissen Humbug abverlangten. Und: Wie sich diese Herren wohl aufgeführt hätten, hier im Westen, wenn sie«gewonnen»hätten. Da hätten die Fußballstadien nicht gereicht für alle die Rausgeschmissenen.
Im TV ein Lastwagen voll toter Kroaten, die von den Serben mit Messern verstümmelt wurden. Im ZDF wurde das nicht so gezeigt wie auf ARD. Das ZDF ist zu seriös, um seinen Zuschauern so was zuzumuten. Nadelstreifen.
Hitchcock, die Sache mit dem Fenstergucker. Idee gut, aber eben doch blöd gemacht.«Schatten des Zweifels»und«Frenzy»bleiben die besten Hitchcock-Filme. Die Sache mit dem Nationaldenkmal ist auch sehr gut:«Der unsichtbare Dritte», mit Cary Grant und Eva Marie Saint.
Ein Drittel der kuwaitischen Ölquellen ist gelöscht. Die Klimaforscher stehen ganz schön dumm da, man sollte nur dann Alarm schlagen, wenn’s auch Sinn hat. Haben gesagt, in Indien würde der Monsun ausbleiben und solchen Blödsinn.
Nartum Mo 29. Juli 1991
Historische Zeiten. Auch die KP der Sowjetunion dankt ab.«Daß ich das noch erlebe!»sagten die Eltern, als Österreich
«heimgeholt»wurde. Und dann erst kam der Kladderadatsch. Ich bin ja kein Prophet, aber was sich da drüben zusammenbraut?
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