Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Seite, aus Angst, ich würde sie aus Versehen draußen lassen.
Wir haben jetzt in dem Nartumer Spekulationshaus (in dem Wasser die Wände herunterrinnt) Albaner und Jugoslawen wohnen. Asylanten! Was die schwer arbeitenden Bauern dazu sagen, wenn sie mit dem Trecker an den sich im Garten fläzenden Balkanesen vorüberfahren, davon redet niemand. Im übrigen sind es meistens die Frauen, die den Betrieb in Gang halten, und nicht nur bei den Balkanesen. Die fleißigen Frauen. Aber sie wollen’s ja auch nicht anders haben.
Nartum Fr 2. August 1991
I904: Werner Seelenbinder geboren
I945: Unterzeichnung des Potsdamer Abkommens durch
UdSSR, USA und Großbritannien
Heute kam Renate mit ihrem sonnigen Temperament. Im Lachen ging dann manches Ärgernis unter.
Ich habe Mrongovius die Rußlandkarten geschickt, zur Identifizierung der russischen Städtenamen im«Echolot».
Der 85jährige rief in der Nacht an, Hildegard war dran. Ob er mich sprechen könnte? -«Nein, der schläft.»-«Ah, in einer Besprechung ist er also.»
Den ganzen Tag über wurde ich gestört durch drei Kinder, die schreiend in unserem Gebüsch Krieg spielten. Ich traute mich nicht, sie wegzujagen, weil ich dann zum Kinderschreck avanciert wäre. Im Augenblick kann so was nicht riskiert werden. Ich denke schon daran, nach Rostock auszuweichen. Nach Gelbensande kann ich ja leider nicht, weil Robert dort die Gegend unsicher macht. Man müßte dort ein möbliertes Zimmer haben.
Das Höhlenbauen. Da wir keinen Garten hatten als Kinder, haben wir über den Tisch eine Decke gelegt, das genügte auch, und da haben wir dann unsern Griespudding gegessen. Einmal habe ich von dort aus meinen Vater Fritz Reuter vorlesen hören, abends. Da hatten sie mich vergessen. Der Geruch seiner Zigarre.
Ulla wird heute 69. Da steht uns im nächsten Jahr eine unangenehme Reise ins Haus. Ihre männlich-herbe Art. Einmal, bei einem Spaziergang, pflückte sie ein wenig Zittergras vom Waldboden und zeigte mir die feine Struktur. Es gibt ein Foto von diesem Ausflug, aber nicht vom Zittergras. Seit diesem Tag habe ich ein anderes Verhältnis zur Natur. – Das Abrupfen von Blütenblättern durch Hannes Gosselck im Unterricht hat mich nicht beeindruckt, und doch habe ich es nicht vergessen. Mein Verhältnis zur Natur (Vegetation) ist ein ganz anderes geworden.
Englische Parks, großräumige Anlagen, Alleen? Nein, keine Alleen. Nur wenn es sich um verwilderte Wege handelt, interessieren sie mich. Und doch habe ich hier in Nartum eine Allee angelegt, und ich freue mich jeden Tag darüber.
Die Diakonissen im Mutterhaus in Rotenburg konnten Blumensträuße binden, da blieb einem die Spucke weg, aber sie haben die Buntglasfenster entfernen lassen, die zu Elise Averdiecks Zeiten die Treppenhäuser in ein freundlich-jenseitiges Licht tauchten, und das kann nicht verziehen werden.
Nartum Sa 3. August 1991
Erinnerungssendungen im TV, den Einmarsch der Iraker nach Kuwait betreffend. Bilder, die in Erinnerung geblieben sind: die Schlachtschiffe, aus allen Rohren feuernd. Flugzeuge sind praktischer.
«Echolot»: Habe Bilder aus Ostpreußen für Bittel aus unserm Archiv eingeklebt in grünen Ordner. Soweit sieht alles ganz gut aus. Ein Monat wird mit Reparaturen noch hingehen.
Schon mal im Februar geblättert. Prall von Stoff.
Heute früh wachte ich leider schon um 7 Uhr auf, die Hunde bellten wie verrückt.
Nach Minden zur Hochzeit der Nichte.
Sie trug einen Hut, mit dem später ihre Kinder Räuber und Gendarm spielen werden.
Nartum So 4. August 1991, warm
Schickimicki-Hochzeit in Minden, ohne Schickimicki. Viel aufgedonnertes Volk und schlechtes Essen.
Schwamm drüber.
Das Wiedersehen mit Tochter und Sohn war mir die Sache wert.
Keiner der Gäste wußte, wer ich bin, ist ja auch egal, aber man hatte mir gesagt, ich müsse unbedingt kommen.
Die Rückfahrt heute früh war sehr gemütlich. Wir beiden redeten unausgesetzt die 2½ Stunden und waren uns in allem einig.
M/B: Ich bereitete das Ms. für Rostock vor, wo ich dann die Arbeit abschließe.
132 Seiten sind es jetzt.
¾ Stunde im Garten Runden gedreht.
Im TV Bedrohliches aus Serbien.
Eine Sendung über das Brandenburger Tor, den Schluß bildeten lauter Besoffene, die unter dem Tor Fahnen schwenkten (NDR natürlich).
Daß der auf den Philippinen ausgebrochene Vulkan unser Klima verändern wird. Warten wir’s ab. Vielleicht ziehen ein paar dunkle Wolken über
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