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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gleich aus – unten wurde schon zum Mittag gerufen -, und ich tat’s und setzte mich zum Essen. Und als wir eben sitzen, tut es einen gewaltigen Donnerschlag, und der Blitz fährt in unseren Blitzableiter. Wir haben uns ganz schön erschrokken. Es war übrigens der einzige Blitz, es folgte kein weiterer, und die Apparate waren unversehrt.
    Trotzdem – wie gut, daß ich nicht abergläubisch bin.
    Keiner nahm Notiz davon, daß ich M/B abschloß. Ich habe es allerdings auch nicht erwähnt.
     
    Tiefe Verstimmung.
    Ich weiß nicht, was für eine Konstitution ich habe. Daß ich trotzdem weitermache, und da ich es tue, wird mir meine Verstimmung noch angekreidet. Wenn ich mich mit Pillen ins Bett legen würde! Halten sie mich für launisch? Ich mache doch auch Witze öfter mal!
    Fausti Weheklag.
     
    Im TV wehleidiger Bericht über die Russen, die jetzt abziehen. Nun werfen sie uns vor, wir wären undankbar, weil sie uns doch vom Faschismus befreit hätten!
    O Gott! Das war vielleicht eine Befreiung.
    Dubiose Schützenpanzer wurden gezeigt: Ob die Russen wirklich so viel gehabt hätten, wovor sich die NATO hätte fürchten müssen?
    Also.
    Dies Von-der-Hand-in-den-Mund im TV ist unerträglich. Peter von Zahn werfen sie heute vor, daß er für die CDU Werbung gemacht habe. Zu Kiesingers Zeiten! Wenn wir so lange zurückrechnen wollten. Man müßte es tun, all dies sozialistische Gewäsch hervorholen.
     
    In 3Sat ein Bericht über einen amerikanischen Mörder, der 17 Männer ermordet hat und in seiner Wohnung zerstückelt und aufbewahrt. Ob er sie filettiert hat? Und zu welchem Zweck? Die Affäre Petiot, in Paris, während des Krieges.
     
    FAZ, Artikel über Zuschauer, die Radrennfahrer belästigen.
     
    Ein Entschädigungsgesetz ist herausgekommen für ehemalige Häftlinge der DDR. Eine Schönheitsrasur, die alle Merkmale von Idiotie trägt.
    1. ist es fraglich, ob man politische Täter überhaupt entschädigen sollte für das, was sich als Folge ihres rechtlichen Bürgersinnes einstellte.
    2. wird nicht berücksichtigt, wann der Betroffene gesessen hat, ob 1951 – dann dürften die Wunden vernarbt sein – oder 1987, ob er hilfsbedürftig oder nicht ist.
    3. Das Alter. Ein 18jähriger wird Haftzeit selbstverständlich besser überstehen als ein Mensch von 50 Jahren.
    4. Ich meine, der Staat brauchte weniger zu zahlen, wenn er die kleinen Heldentaten seiner Bürger besser herausstellte. Manch einem dieser Leute sollte man nur sagen:«Das hast du damals gut gemacht.»

Nartum Do 25. Juli 1991, schön
     
    Sehr schlechte Nacht, aber ich widerstand, ich nahm keine Pille. Mehrmals Fußbrausung.
     
    Auf dem Brunnentrog Mückenlarven.
    Der Nachbar hat den Trockenenten eine Schale mit Wasser hingestellt. Die armen Tiere versuchen hineinzusteigen.
     
    Ausliefern. Das müßte verboten sein, egal, wen.
    Schon das Wort!
     
    Als ich auf den Sonnenhof trat: die innere Befreiung. Ein Spinnenfaden wie Draht zerriß an meinen Lippen.
    Jetzt nur Lerchen und die Katze, die sich an meinem Stuhlbein reibt. Wenn ich sie hochnehmen will, läuft sie weg, aber sie sehnt sich danach. Ich fühle ihr Skelett unter dem weichen Fell.
     
    Feinarbeit an M/B.
    «Echolot»: Abtippen der wundervollen Briefe der KdF-Betreuerin Riedel, in Rußland. Ihre Amouren.
     
    2007: Sie habe die Briefe damals geschrieben, um ihre Mutter zu ärgern, sagte sie mir vor einiger Zeit.
     
    Trauriger Brief einer Frau aus Rostock, die Stadt werde von Händlern und Betrügern überschwemmt, sie sei früher in Lübeck, Eutin, Hamburg usw. gewesen, und dort gehe es doch vollkommen gesittet zu usw. Rührenderweise ärgert sie sich darüber, daß die alten Bezeichnungen für«Kaufhalle»usw. durch fremde ersetzt worden sind. Das kann ich noch am ehesten verstehen.

Nartum Fr 26. Juli 1991, schön/Regen
     
    Die Wohnung in Berlin haben wir nun gekauft. Nun müssen wir sie auch«verdauen».
     
    M/B – im August abgeben.
    «Echolot»- Mai 1992 abgeben.
    «Alkor»- vielleicht 1993 im Herbst? (Ich werde damit noch im August beginnen.)
    Dann Dorfroman und«Echolot 1945».
     
    Vollmond. Ich lief im Garten meine Runden.
     
    Morgens in Zeven zum Fotografen. Sie können nur noch die Maschine nudeln, sowie sie etwas machen sollen, was aus der Reihe fällt … Papierbilder z. B., wellig, grob. An feines Fotopapier komme man nur sehr schwer ran, meinte der Fotograf. Ich ließ mir einen Kasten mit den aussortierten Fotos zeigen. Allerhand Brauchbares! Aber er darf nichts weggeben,

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