Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
Vom Netzwerk:
»Herzlichen Dank«, sagte ich zu ihm.
»Sie haben uns gerettet. Nicht auszudenken, was passiert
wäre, wenn er uns in die Finger bekommen hätte.«
    Inzwischen hatte sich auch Lisa Adolphi zu uns gesellt. »Das
ist ein schrecklicher Justizirrtum«, sagte sie. »Dieser
Mann hier wird des Mordes verdächtigt, aber er ist
unschuldig.«
    Es tat gut, dies so deutlich aus ihrem Munde zu hören.
Anscheinend war ich bei ihr endgültig rehabilitiert. Lisa…
Wenn man eine solche Frau auf seiner Seite hatte, brauchte man weder
Teufel noch Kommissare zu fürchten. Ich wandte mich an meine
Retterin: »Stimmt es, dass ein Polizist in einer Kirche
niemanden verhaften darf?«
    Sie nickte und sagte: »Manchmal ist es gut, wenn man einmal
einen Rechtsanwalt zum Freund gehabt hat.«
    Der Geistliche sagte: »Jetzt wollen wir den Herrn Kommissar
erst einmal draußen warten lassen. Ich habe Zeit.« Nun
fiel alle Freundlichkeit von ihm ab, als wäre sie nur eine Maske
gewesen. Er runzelte die Stirn, zog die Augenbrauen zusammen und
fragte scharf: »Wie darf ich diese Sache verstehen?«
    Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, meinte Lisa: »So wie
ich es gesagt habe.«
    Der Priester schaute mich fragend an. Es war, als blickte er
unmittelbar in meine Seele. Ich war mich nicht sicher, ob ihm gefiel,
was er in mir entdeckte. »Dass ich euch beiden Asyl
gewähre, heißt noch lange nicht, dass ich von eurer
Unschuld überzeugt bin. Da braucht ihr schon eine verdammt gute
Geschichte.«
    Sein stechender Blick haftete noch immer auf mir. Lisa bemerkte,
dass mir immer unwohler wurde, und begann mit der langen Geschichte
– von Anfang an und ohne Auslassungen, einschließlich
unserer Schlussfolgerung, dass uns irgendein Eifelkloster den
weiteren Weg weisen könnte.
    Inzwischen hatte uns der Geistliche in die Sakristei geführt.
Sie war hell und geräumig. An der linken Seite befand sich ein
großer, offen stehender Wandschrank, der die Paramente
enthielt; ihm gegenüber eine erhöhte Plattform und auf ihr
ein Schrank mit einer langen Deckplatte, auf der ein Kelch, ein
großes Kreuz und ein Weihrauchfässchen abgestellt waren.
Neben einer Tür, die nach hinten aus der Sakristei führte,
standen ein kleiner, runder Tisch und zwei Stühle. Der
Geistliche bat uns, auf den Stühlen Platz zu nehmen; er selbst
setzte sich auf die recht hohe Stufe zur Linken und hörte dann
weiter zu. Als Lisa zum Ende gekommen war, pfiff er leise zwischen
den Zähnen hindurch.
    »Das ist die verrückteste Geschichte, die ich je
gehört habe«, meinte er und bedachte mich nun mit einem
erheblich freundlicheren Blick. Er schlug die Beine übereinander
und wirkte nun viel entspannter.
    Ich getraute mich zu fragen: »Woher kennen Sie eigentlich den
Namen des Kommissars?«
    Der Priester schmunzelte. »Ganz einfach. Er ist der Mann
meiner Nichte – und nicht nur als solcher ein kompletter
Versager. Hartmut Deschemski hatte Großes vor«,
erklärte er. »Er stammt aus Düsseldorf und
träumte von einer glänzenden Karriere im Polizeidienst.
Aber sein größter Fall wurde leider auch sein letzter
dort. Er ist wie ein Elefant im Porzellanladen aufgetreten und hat
dafür die Quittung bekommen. Danach hat es ihn in die
schöne Eifel verschlagen – und an die Brust meiner Nichte.
Manchmal ist das Schicksal grausam.« Er faltete die Hände
und schaute hoch zum Himmel. Dann sah er mich zweifelnd an und fuhr
fort: »Ich möchte Ihnen nicht wehtun, junger Mann, aber ich
habe von Ihrem Herrn Onkel nie sehr viel gehalten. Er hat mir
gegenüber einmal von seiner Suche nach dieser seltsamen Gottheit
erzählt, aber ich wollte nichts davon hören. Ich halte das
alles für gottloses Zeug, das eines Priesters unwürdig
ist.«
    Lisa wollte ihm das Enchiridion vorlegen, das sie immer
noch in der Hand hielt, doch der Priester lehnte barsch ab: »Ich
will das Buch erst gar nicht sehen. Ich glaube nicht an dieses Gerede
von der Macht des Gottes Somniferus und daran, dass er diejenigen
heimsucht, die ihre Gedanken auf ihn richten. Natürlich habe
auch ich selbst schon an ihn gedacht, und es ist –
natürlich – nichts geschehen. Aber es ist trotzdem nicht
gut, sich eingehend mit solchen Dingen zu
beschäftigen.«
    »Ich kann nicht einsehen, was an der Beschäftigung mit
Mythologie schädlich sein soll«, wandte ich ein.
    »Junger Mann, wir haben das Zeitalter der
Götzenverehrung schon lange hinter uns gelassen. Man sollte ja
meinen, dass die Zeit unumkehrbar ist, aber manchmal rutschen

Weitere Kostenlose Bücher