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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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aber
sicherheitshalber die Fenster verdunkeln, damit uns niemand
beobachtet.«
    Sofort sprang Lisa auf und zog den grauen, dicken Vorhang zu. Die
Welt war verschwunden.
    Der Priester zerrte an dem eingelassenen Ring. »Ich habe sie
erst ein einziges Mal geöffnet – damals, als ich als junger
Priester hier herkam und mein neues Wirkungsfeld so genau wie
möglich erkunden wollte«, brachte er unter Stöhnen und
Keuchen hervor. »Sie scheint zu klemmen.«
    Ich bot ihm meine Hilfe an. Er musterte mich von oben bis unten,
sagte nichts und versuchte es lieber selbst noch einmal.
Schließlich gab die Falltür nach und schwang knirschend
nach oben. Ich sah einige ausgetretene Stufen, die sich in der
Dunkelheit verloren. Von unten drang ein eisiger Luftzug hoch –
und schale, stinkende Luft. Es war, als rieche ich den faulen Atem
aus dem Schlund einer namenlosen Bestie. »Da sollen wir
hinunter?«, fragte ich bang und beugte mich über die
Öffnung. Ich konnte nicht mehr erkennen als zuvor.
    »Ich nicht«, meinte Lisa.
    Ich sah sie verständnislos an. Grimmige Entschlossenheit
spielte um ihre Mundwinkel.
    »Ich werde nach draußen gehen und mit diesem Kommissar
reden«, erklärte Lisa.
    »Das ist doch Wahnsinn!«, platzte es aus mir heraus.
»Er wird dich verhaften.«
    »Warum sollte er das?«, warf der Geistliche ein. Er
lächelte Lisa anerkennend zu. »Eigentlich ist das keine
schlechte Idee. Sie lenken ihn ab, während wir seelenruhig von
hier verschwinden.«
    Lisa erwiderte sein Lächeln. »Genau. So können wir
Zeit schinden. Außerdem gelingt es mir ja vielleicht, den
Kommissar zur Vernunft zu bringen.«
    Nun wurde der Gesichtsausdruck des Geistlichen skeptischer. Ich
schüttelte den Kopf. Doch Lisa ließ sich nicht beirren.
»Ich will ihm noch einmal erklären, was eigentlich passiert
ist. Es wäre gut, wenn wir unsere Suche fortsetzen könnten,
ohne die Polizei im Nacken zu haben. Mir kann er nichts anhaben, denn
ich bin ja nur eine Zeugin, und wenn ich meine Aussage widerrufe, hat
er nicht mehr viel in der Hand. An Sie kann er nicht heran; die Sache
ist also gefahrlos.«
    Der Gedanke, ohne Lisa aus dieser Kirche fliehen zu müssen,
gefiel mir gar nicht. »Was soll ich denn manchen, wenn ich in
Freiheit bin?«, fragte ich hilflos.
    Lisa fragte den Geistlichen, wo der Stollen endete. Als er eine
Straße nannte, die mir natürlich nichts sagte, nickte sie
kurz und sagte dann zu mir: »Von dort aus gehen Sie langsam und
vorsichtig nach rechts zum Ortsausgang, bis Sie rechts eine
Telefonzelle sehen. Sie warten im Gebüsch dahinter auf mich. Ich
komme auf alle Fälle. Ich hoffe, dass wir dann freie Bahn haben,
aber wir dürfen kein Risiko eingehen. Machen Sie’s gut. Und
vergessen Sie nicht, das Buch mitzunehmen. Ich gehe jetzt.« Sie
drehte sich um und verließ die Sakristei.
    Am liebsten wäre ich hinter ihr hergelaufen. Ich bezwang mich
und sah zuerst den Geistlichen und dann das klaffende Loch im Boden
an. Ich räusperte mich und fragte: »Da unten gibt es
bestimmt kein elektrisches Licht. Haben Sie Kerzen und
Streichhölzer?«
    »Aber natürlich.« Er schloss einen der
Wandschränke auf und nahm zwei dicke Stummelkerzen heraus. Er
zündete sie mit einem Fidibus an, gab mir die eine und behielt
die andere für sich. »Ich führe Sie persönlich in
die Freiheit«, sagte er.
    Ich ergriff das Enchiridion, das Lisa vorhin auf dem Tisch
abgelegt hatte. Dann machten wir uns an den Abstieg. Da ich hinter
dem Geistlichen ging, hatte ich die Aufgabe, die Falltür
zuzuklappen. Sobald ich das geschafft hatte, war es stockfinster um
uns. Ohne die Kerzen wären wir im Nichts gelandet. Unsere
Schritte verursachten ein leises Echo, das tiefe unterirdische
Räume andeutete.
    Wir stiegen lange auf der unebenen Treppe hinab. Als wir am
Fuß der Treppe angekommen waren, blieb ich kurz stehen. Ich
hatte hinter und über mir etwas gehört und spähte nach
oben. Die Stufen verloren sich in der Dunkelheit. Ich
befürchtete plötzlich, Lisa habe den Kommissar auf unsere
Fährte gelockt. Doch niemand stieg die Treppe hinunter. Die
merkwürdigen Geräusche indes hörte ich immer noch; sie
schienen aus dem Bereich unmittelbar hinter dem Lichtkegel meiner
armseligen Kerze zu kommen. Ich drehte mich wieder um und sah nach
vorn.
    Das Licht des Geistlichen war schon sehr weit weg; zwischen ihm
und mir lag ein Pfuhl aus Schwärze. Der Priester hatte nicht
einmal bemerkt, dass ich stehen geblieben war. Ich wollte ihm
zurufen, er solle auf mich

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