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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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einige
von uns zurück in die Vergangenheit.«
    Ich kratzte mich am Kinn. »Wie soll ich das
verstehen?«
    »Es gibt Leute, die den Monotheismus zugunsten des
Polytheismus aufgeben möchten. Nicht einfach irgendwelche Leute.
Heutzutage wird ja alles Mögliche geglaubt, aber schlimm ist es,
wenn derartige Verirrungen einem Mitglied des geweihten Standes
vorgeworfen werden müssen.«
    »Wollen Sie damit andeuten, dass mein Onkel…?« Ich
konnte es nicht glauben. Er war zwar merkwürdig gewesen, aber so
merkwürdig nun auch wieder nicht. Oder? Was hatte mir Frau Junk
noch gleich von seltsamen Geräuschen aus der Privatkapelle
erzählt? Gedankenverloren schaute ich durch ein kleines Fenster
neben dem Tischchen. Draußen wurde es langsam dunkel. Ich
fragte mich, wie wir je wieder aus dieser Kirche herauskommen
sollten. Dann schaute ich Lisa an. Unsere Blicke kreuzten sich. Sie
lächelte mich vorsichtig an. Wie leid sie mir tat! Sie hatte
nicht nur ihren Vater verloren, sondern wurde jetzt auch noch als
meine Komplizin verdächtigt.
    Der Geistliche unterbrach meine sorgenvollen Gedanken: »Ich
erinnere mich, dass mir Ihr Onkel vor noch nicht allzu langer Zeit
sagte, er habe einen Gott gefunden, der ihm vielversprechender
erscheine als der Gott der Christen. Zuerst wollte ich nicht ernst
nehmen, was er gesagt hatte. Bei einem späteren Gespräch
aber berichtete er unverhohlen darüber, dass er gewisse Versuche
angestellt habe – Beschwörungen, die jedoch seiner Meinung
nach daran gescheitert seien, dass er kein Standbild des Gottes habe,
dem er opfern könne. Stellen Sie sich das einmal vor: Ein Mann
Gottes bringt einer heidnischen Gottheit Blutopfer dar!«
    »Blutopfer?«, fragte ich entsetzt. Ich sah, dass auch
meine Retterin die Augen aufriss. Ich dachte an die Entrümpelung
meiner Scheune zurück, an die rotfleckigen Bretter…
    Ich sah den Priester fragend an, doch er wollte nichts mehr
darüber sagen. Er meinte lediglich: »Ich kann Ihnen nur
einen guten Rat geben: Machen Sie sich nicht auf die Suche nach
dieser Statue – falls sie überhaupt existiert. An ihrem
Phantom klebt schon zu viel Blut. Vergessen Sie die ganze
Angelegenheit.«
    »Etwa auch den Kommissar, der da draußen auf uns
lauert?«, fragte Lisa. »Was sollen wir denn jetzt Ihrer
Meinung nach tun? Wir sitzen in der Falle und nur die Wahrheit
über die ganze Sache kann noch helfen.«
    »Die Wahrheit hilft nicht; sie vernichtet«, sagte der
Priester.
    Draußen war es inzwischen ganz dunkel geworden. Irgendwo
schien in der Ferne ein einsames Licht; ansonsten war von hier aus
von Daun nichts zu sehen; große Bäume versperrten mit
ihrem schwarzen Blattwerk die Sicht. Ich hörte, wie sie im Wind
rauschten.
    Aber sie bewegten sich nicht.
    Wie ein doppelt belichtetes Bild lag die Spiegelung der Sakristei
vor den Bäumen. Ich sah Lisa und den Geistlichen. Sie schauten
sich sprachlos an. Ich stand auf und hielt mein Gesicht ganz dicht
gegen das Fenster. Ich hörte das Rauschen ganz deutlich, doch
draußen schien sich kein Blatt zu bewegen. Langsam ging mir
diese unheimliche Geschichte an die Nerven. Ich setzte mich, schaute
jedoch immer wieder nach draußen. Jetzt war das Rauschen
verschwunden – so unvermittelt, als hätte es jemand
ausgeknipst.
    »Es gibt einen Weg hier hinaus«, meinte der Priester und
drehte versonnen an einer weißen Haarlocke, die ihm bis auf die
Wange hing. »Ich werde zwar mächtigen Ärger mit meinem
Herrn Nichtenbeglücker bekommen, aber das ist es mir wert.
Vielleicht bin ich verrückt, weil ich euch glaube, aber mein
untrügliches Gefühl sagt mit, dass es das Richtige
ist.« Er stand auf und zog einen Webteppich zur Seite, der fast
den gesamten Boden bedeckt hatte.
    In der Mitte des Fußbodens war deutlich eine Falltür zu
erkennen.
    »Die Kirche – und auch die Sakristei – ist erst
nach dem Krieg auf den Trümmern der alten Kirche erbaut worden.
Aus der Chronik weiß ich, dass es damals erbitterte
Diskussionen darüber gab, ob man den alten, nicht mehr
sonderlich geheimen ›Geheimgang‹ beibehalten oder
zuschütten sollte. Aus Gründen, die mir nicht bekannt sind,
setzte sich die ›Geheimgang-Fraktion‹ durch – zu
unserem Glück, wie ich zu sagen wage. Es sollte alles so
gelassen werden, wie es früher einmal war, argumentierte man.
Ich glaube, inzwischen ist die Existenz dieses Ganges aus dem
allgemeinen Bewusstsein völlig verschwunden. Es wird an seinem
Ende also auch kein Polizist warten. Wir sollten

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