Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
spreizte drei Krallen. Er greift an!
Tarabas fühlte sich ohnmächtig, etwas dagegen zu tun. Schweiß drückte aus den Stirnporen, das linke Knie zitterte. Er kämpfte mit Atemnot. Dann aber winkte der Untote mit der mittleren Kralle so stark, dass Tarabas dachte, Wind an der Stirn zu spüren und so etwas wie Erleichterung im Herzen. Das war das Zeichen für ‚Liebe mit dir und Frieden sowieso’. Fumè grüßte auf diese Weise, wenn er jemanden verabschiedete. Tarabas wusste nicht, was er erwidern sollte. Er merkte nur, dass er den Vorhang umkrallte und sich das Stofftaschentuch an der Daumenkappe restlos mit Blut vollgesogen hatte.
Eine fürchterliche Weile stand er dem Untoten mit dem Friedens-Liebesgruß und der herunterbaumelnden Ratte gegenüber, umklammerte den Vorhang und konnte sich nicht aus der Starre lösen. Als sein Blut zu Boden tropfte, bewegte sich der Adamsapfel des Untoten. Tarabas musste schlucken. Er gurgelte ihm etwas entgegen, doch Tarabas verstand nicht. »Wie bitte?«
Der Untote nickte auf den verbundenen, bluttropfenden Daumen und hielt ihm die Ratte entgegen. »Kann ich ein bisschen zum Würzen haben?«
Tarabas runzelte die Stirn. »Was?«, murmelte er. Da zog der Untote die Ratte zurück.
»Wollte nicht unhöflich sein ...« Er ließ die Klaue mit dem Friedensgruß sinken und drehte sich ab.
Tarabas sah ihm nach, bis er im Dunkeln verschwunden und nur noch ein Schlurfen und Schmatzen zu hören war.
Endlich konnte er sich aus der Starre lösen und den Vorhang loslassen. Er hastete die Treppe hinauf. Die Spinnenasche wirbelte auf, dann gingen die Fackeln aus.
Er warf die Kellertür ins Schloss und lehnte sich schwer atmend dagegen.
Fumè sammelte die Früchte ein, während er ihn musterte. »Na? Wo hast du das Buch?« Er ließ ein verzaubertes Stofftaschentuch herüberflattern.
»Ich … da war … ich meine …« Tarabas bekam vor lauter Schnaufen und Herzklopfen kaum ein Wort heraus.
»Was? Bist du deinem Seelenlied begegnet?«
»Dieses … Ding. Es … wollte … ach, ich weiß auch nicht.«
»Ach! Du bist Waldipert über den Weg gelaufen?«
»Waldipert?«, schnaufte er und wickelte das neue Stofftaschentuch um das blutige.
»Ja. Waldipert. Ist ne gute Haut. Deshalb wollten ihn seine Artgenossen verstoßen. Da hab ich ihn bei mir aufgenommen. Verstreut Blumen und hält mir den Keller frei von Ungeziefer.«
Ein Abandonier? Für einen Moment überlegte Tarabas, ob er seinen Meister damit erpressen könnte: Lehre mich oder ich geh zu den Oberen und melde das …
»Sag bloß, du hast dich vor dem geängstigt?«
Was für eine bloßstellende Frage! Er senkte den Blick und fuhr die Linien an der Hand nach. Das tat er immer, wenn ihm etwas unangenehm war.
»Was denkst du, welche Kreaturen dir im Krieg begegnen werden?«, fuhr Fumè fort und zerdrückte die Banane, sodass die Frucht aus der Schale quoll und über die Finger bröckelte. »Da greifen dich Kreaturen an, die dich in Stücke reißen wollen. Geschöpfe, dem Blutrausch verfallen. Mit giftigen Schlangen verwachsen. Wenn du Angst hast, ist dir der beste Zauber nicht nütze.«
Eine Moralpredigt, das hatte ihm gerade noch gefehlt. Sollte er ihm eine halten wegen des Untoten da unten? Der gehörte … verstoßen! Nicht versteckt. Er fuhr die Linien der anderen Hand nach und nickte.
»Da du ja nun weißt, dass Waldipert dagegen ein hübsches Wesen ist, vor dem du keine Angst zu haben brauchst, kannst du ja jetzt das Buch holen.«
Der Weg zum größten Krieger aller Zeiten war doch steiniger, als er gedacht hatte. Und was noch schlimmer war, er hatte wohl die Feigheit seines Vaters geerbt. Er traute sich nämlich kein zweites Mal in den Keller. Waldipert war ein Untoter und ein Abandonier – er wusste nicht, was ihm mehr Furcht einflößte. Um diese Schmach zu verdauen, musste er von hier fort.
»Nächstes Mal. Vincent wartet bestimmt schon.« Er hielt den Kopf gesenkt und doch wusste er, dass man Fumè nichts vormachen konnte.
Ohne ein weiteres Wort verließ er das Haus des Magiers und ignorierte den Friedensgruß des Meisters.
***
Tarabas traf Vincent auf einer Wiese, auf der sie schon als Kinder gespielt hatten. Verbotenerweise. Denn die Wiese war mal ein Flussbett gewesen, mit einem Wasserfall und so bestand die Gefahr, an einer Kante auszurutschen und in den See zu stürzen, der sich da unten gesammelt hatte.
»Fumè hat einen Abandonier bei sich im Keller untergebracht. Einen Untoten«,
Weitere Kostenlose Bücher