Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
Sie legte den Kopf schief. »Na los. Was liegt dir auf dem Herzen?«
Vielleicht konnte er sich ihr wirklich anvertrauen, dachte er und erzählte von seinen Versagensängsten, den Ängsten vor wilden Bestien und der Angst, nicht angenommen zu werden.
»Sind ganz schön viele Ängste«, stellte sie fest. »Aber weißt du was? Dir fehlt es an Vertrauen, dass alles gut wird.«
»Das mag sein.«
»Versuch einfach mal, vom Besten auszugehen.«
»Und wenn es nicht gut ausgeht?«
»Dann wäre es mit deinen Ängsten auch nicht gut ausgegangen.«
Da war etwas Wahres dran, dachte Tarabas und spürte, dass sich ein klein wenig die Ängste verflüchtigten, weil sie mehr Last waren als Halt. Er ging ein paar Schritte Richtung Kräuterhexenhaus und streichelte Sinibaldo. »Und was ist mit der Angst, jemandem seine Gefühle zu offenbaren und dafür ausgelacht zu werden?« Er warf einen Blick zurück zu Mazelina, die ihren Kopf erneut etwas zur Seite legte und ihn die Frage beantworten ließ. »Schon gut. Ich werde um sie buhlen.«
Die Meerjungfrau lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Zitronenfalter und Tarabas sah wieder zu dem Haus, in dem Rodelinda lebte. Ihm fiel ein, dass er den Drachenaugenzauber beherrschte, mit dem er Details über etliche von Kilometern erkennen konnte, so sehr schärfte dieser Zauber seine Augen. »Shaves! Dorenzi!«
Augenblicklich sah er überdeutlich die Rinde des Baumes vor dem Kräuterhexenhaus. Ein Borkenkäfer guckte aus einem Astloch. Ein schielender Borkenkäfer. Tarabas schaute weiter, am Baum vorbei und erkannte ein Fenster, das mit dornenbestückten Pflanzen durchflochten war. Man konnte weder ein- noch aussteigen, ohne sich den Körper zu zerkratzen. In dem Raum dahinter stand ein Tisch, auf dem eine Kerze flackerte und das am helllichten Tag. Sinibaldo maunzte und Mazelina rief nach ihm, doch als Tarabas die zauberhafte Rodelinda an dem Tisch Platz nehmen sah, war er so gebannt von dem Bild, dass er auf Maulwurf und Meerjungfrau nicht reagieren konnte. Sie tunkte eine Feder in einen Tiegel fast leerer Tinte und schrieb. Ihm klopfte das Herz und er spürte, wie sehr ihn die Angst davon abhielt, sich einzugestehen, dass er für die Rothaarige solche Gefühle hegte.
Du solltest dich für Liebe und die Frauen begeistern. Fumès Worte. Bei Rodelinda könnte er das eventuell. Ihm lag ein Lied auf der Zunge und er summte es. Ein schönes Lied, auch wenn er etwas enttäuscht zugeben musste, dass es nicht sein Seelenlied war.
»Tarabas? Was macht sie?«
Er warf einen Blick zurück zu Mazelina und hatte vergessen, dass der Drachenaugenzauber noch immer wirkte. In Nahaufnahme sah er in ihr Gesicht, sah Algenreste in den Narben auf ihren Wangen und das zerkratzte, verwachsene Auge. Als er vor Schreck den Maulwurf fallen ließ, sah er, wie aus ihrem heilen Auge eine Träne rann. Er schlug sich an die Schläfe, damit sich die Zauberkraft verflüchtigte, dann hob er Sinibaldo auf, entschuldigte sich bei dem Maulwurf vielmals, und als er wieder zur Meerjungfrau blickte, war sie bereits abgetaucht und eine Welle rollte aus.
Er rührte kräftig im Wasser, damit sie wieder auftauchte, er ihr erklären konnte, dass das nicht so gemeint war und er sie um Rat wegen Rodelinda fragen könnte, doch sie kam nicht zurück. Dann musste er es eben allein durchziehen. Den Maulwurf in Vincents Baracke ablegen und die Rothaarige irgendwie zu sich locken, ihm würde schon noch etwas einfallen.
***
Rodelinda hatte sich in ihrem Zimmer eine Ecke mit Furcht einflößenden Figuren zusammengestellt. Die Figuren waren aus der verbrannten Erde von dem Rosenfeld beschaffen, mit Harz verklebt worden, und dienten Rodelinda dazu, ihre Gewaltfantasien abzuhandeln. Einer Magierfigur mit einem Ästchen als Zauberstab hatte sie mit Gräsern einen Strick geflochten und ihn über der Figur aufgehängt, die einen hungrigen Hoppler symbolisieren sollte. Daneben stand ein Ork, an dessen Bein ein Maulwurf fraß.
Sie modellierte ihre neueste Figur fertig, eine Drillingswespe, deren mittlerer Kopf von einem Ast gespalten wurde, und stellte sie zu den anderen Figuren. Mit einem Seufzen betrachtete Rodelinda ihre Figurenecke und wandte sich ab. Sie setzte sich auf einen Schemel. Vor sich hatte sie Tagebuch, Feder und Tiegel mit wenig Tinte. Bevor sie zu schreiben begann, horchte sie nach unten. Es war still, kein Weinen zu hören. Sie griff zur Feder, kratzte im letzten Rest Tinte und schrieb: Mein Mamile hat wieder nur wenig
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