Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
wie er es immer tat, wenn Tarabas in Sachen Zauberei nicht weiterwusste. Als er hinübersah, legte sich Vincent mit dem Rücken zu ihm und wünschte eine gute Nacht, ohne ein Wort zu Rodelinda verloren zu haben. Wahrscheinlich war es so, dass der Haarige mit Liebesdingen nicht viel anfangen und daher nicht viel dazu sagen konnte.
»Gute Nacht«, flüsterte Tarabas. Er nahm sich vor, die Meerjungfrau um Rat zu fragen, die für ihn so etwas wie ein Mutterersatz geworden war. Dann fiel er in einen traumlosen Schlaf.
***
Am frühen Morgen stand Tarabas vor dem Weiher und ließ Steine ins Wasser glucksen. Er fragte sich, wie Meerjungfrauen schliefen? Auf dem Boden, zugedeckt von Schlamm und Algen? Da blubberte es an der Oberfläche und Mazelina tauchte auf.
»Was verschafft mir zu so früher Stunde die Ehre?«, wollte sie wissen.
»Hast du eine Idee, wie ich das mit Rodelinda wiedergutmachen könnte?«
»Das Problem ist, dass du so bist, wie du bist.«
»Sehr witzig.«
»Sie hat’s momentan nicht leicht.« Mazelina hievte sich auf den Weiherrand, mit der Flosse schlug sie leichte Wellen ins Wasser.
»Ist ihre Mutter denn so eine Tyrannin?«
»Nein, nein.« Sie klopfte auf die Stelle neben sich. »Komm. Setz dich. Ich will dir von den beiden Hexen erzählen.«
Tarabas setzte sich im Schneidersitz neben sie und kaute auf einem Grashalm, während Mazelina erzählte. »Die Kräuterhexe floh mit ihrer Tochter nach Abandonien, nachdem ihr Geliebter getötet worden war. Rodelinda sollte nicht unter diesen bösen Hexen aufwachsen, sie sollte ein gutes Wesen werden, das war der Plan.«
»Moment.« Tarabas spuckte den Grashalm aus. »Kann es sein, dass ihr Geliebter ein blonder Hüne war? Einer mit nordischem Blut?«
»Ja, das war er. Woher weißt du das?«
»Ich war damals dort. Mit Vincent. Die Hexen hetzten ihm zwei Hoppler an den Hals.«
»Das ist Jahre her.«
»Ich weiß, ich weiß.«
Mazelina rieb den Algenschimmer von einer Schuppe und meinte, dass der Kräuterhexe seither Gewalt ein Gräuel sei und sie ihrer Tochter ein gutes Vorbild sein wolle. »Doch dann zerstörte ein Drache ihr halbes Rosenfeld. Sie rächte sich bitterlich, indem sie ihn in einen Zwerg verwandelte. Erschrocken über sich selbst zerbrach sie den Zauberstab und ist seither untröstlich über ihre Tat. Rodelinda scheitert ständig beim Versuch, sie aufzuheitern.«
Tarabas schaute sich nach einem Schmetterling um. »Und was könnte ich für Rodelinda tun? Mich bei ihrer Mutter einschleimen?«
»Schenk ihr Blumen.«
»Blumen? Hm.« Tarabas musste an die regenbogenfarbenen Orchideen denken, die so üppig an dem See geblüht hatten, damals, als er Vincent im Regen nach Hause trug. Er fragte Mazelina, ob es hier solche von der Sorte gäbe.
»Leider nicht. Du musst sie dir schon von dort holen. Ist aber nicht weit von hier.«
Tarabas schüttelte irritiert den Kopf. Selbst wenn Mazelina wüsste, dass der Verdammus-Pass bewacht wurde, wäre das kein kurzer Weg. Er seufzte.
»Was zögerst du? Mach dich auf den Weg, sonst verwelken sie noch.« Mazelina zwinkerte ihm zu.
»Naja.« Er blickte zum Verdammus-Pass. »Ich kann zwar zaubern, aber da stoße ich an meine Grenzen.«
»Nicht doch«, entgegnete sie, nachdem sie seinem Blick gefolgt war. Sie deutete geradewegs auf die westliche Felswand. »Dort findest du die Höhle, die zum See führt.«
»Höhle? Welche Höhle?«
»Erinnerst du dich an die Höhle in der Felswand, knapp über dem See?«
»Die führt nach Samata?« Tarabas wollte es noch nicht glauben, dass sie ihm gerade einen Ausweg aus diesem bald verlorenen Land gezeigt hatte.
Mazelina hielt ihren Kopf schief und schenkte ihm mit ihrem Auge einen ungläubigen Blick. »Wie, denkst du, bin ich in dieses Land gekommen? Über den Verdammus-Pass?«
Er dachte bislang, dass sie ihr Dasein seiner Aphrodisiakum-Fantasie zu verdanken hatte. »Naja, ich weiß nicht recht.«
»Na dann los!«
Er sprang auf und lief zur Barackensiedlung. Kaum, dass er es erwarten konnte, Vincent davon zu erzählen.
»Zu den Orchideen geht’s in die andere Richtung!«, rief die Meerjungfrau.
Bevor er die Baracken erreichte, hörte er Stimmen. Er versteckte sich hinter dem Felsen, auf dem Vincents Baracke stand und lugte um die Ecke. Waldipert und der Ork standen unweit des Lagerfeuers bei dem Haarigen, der die Mundharmonika an seiner Brust rieb und herzhaft hineinblies. Bei den schiefen Tönen stellten sich Tarabas’ die Nackenhaare auf.
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