Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
ziehst einfach vier Karten. Sind es vier Könige, bekomme ich deine Telefonnummer, wenn du mir schon nicht die Sachen tragen willst.«
»Scherzkeks.«
»Also?«
»Meinetwegen. Zur Not bekommst du die Nummer einer Irrenan¬stalt.« Sie lächelte.
»Wir werden sehen.«
Sie fragte sich, was sie wohl ziehen würde? Sicher waren die Karten gezinkt, und sie würde vier Könige ziehen.
Aufmerksam wachte sie über jede seiner Handbewegungen. Gekonnt mischte er die Karten, spielte mit ihnen, als wären sie eins mit ihm und strich den Stapel aus, so, dass er exakt aneinandergereiht in der Hand einen Fächer bildete. »Greifen Sie zu, schöne Frau.«
Wohlüberlegt zog sie drei Karten aus der Mitte und wählte dann die oberste. Bevor sie die Karten aufdecken konnte, legte er seine Hand auf ihre. »Ach übrigens, ich bin Ondrej!«
Sie dachte nicht daran, ihren Namen preiszugeben. »Ja ja, schon gut«, sagte sie und drehte die Karten um. Es waren zwei Asse, ein Zehner und ein Bube. »Tja!«
»Da kann man nichts machen.« Er lächelte.
Sie hatte für einen Moment das Gefühl, dass er in ihr Herz blicken konnte. Eigenartig.
Er drückte ihr die restlichen Karten in die Hand. »Als Abschieds-geschenk«, sagte er, drehte ihr den Rücken zu und ging ohne ein wei-teres Wort.
Er packte in aller Ruhe seine Sachen zusammen, winkte im Gehen dem Jungen zu und sah sich kein einziges Mal nach Alena um, obwohl sie darauf gewettet hätte.
Sie sah dem Maler nach, bis er verschwunden war. Sie war sich sicher gewesen, dass sie seine Nummer bekommen oder er ihr seine Adresse verraten würde, und sah sich getäuscht.
Gedankenversunken spielte sie mit den Karten, blätterte dann aber mit suchendem Blick durch den Stapel. Wo waren die Könige?
Mittlerweile war das Schachspiel beendet, der Schnauzbärtige hatte gewonnen. Der Junge ging neben seiner Mutter an Alena vorbei.
»Ales? Du hast doch ein Bild von dem Maler bekommen. Willst du es mir zeigen?«
Der Junge rollte die Zeichnung aus. Alena legte Karten und Buch beiseite und musterte das Bild. Es zeigte anscheinend lebendig gewordene Schachfiguren. Durch die Fensteröffnungen der Türme lugten Kanonenrohre, die Bauern arbeiteten sich mit ängstlichem Blick langsam vor, der Läufer schien ermattet, und spähte suchend umher. Ausweglos, aber nicht verloren. Das weiße Pferd eines Springers scheute vor der schwarzen Dame.
Da fiel ihr etwas Sonderbares auf. »Die Könige fehlen!«
»Ja«, meinte der Junge und rollte das Bild wieder zusammen. »Das hat mit seinem Geheimnis zu tun.«
»Welches Geheimnis?«
Der Junge kratzte sich am Kopf. »Ich hab versprochen, es für mich zu behalten.«
Alena lächelte ihn mit funkelnden Augen an. »Ich verrate es ihm nicht – großes Ehrenwort!«
»Hm. Na gut«, sagte der Junge. »Der Maler erzählte mir, es gäbe für ihn nichts Schlimmeres, als das Gefühl, sich schachmatt zu fühlen. Und daraufhin gab er mir die Könige eines Kartenspiels, um sie dem Ver¬lierer der Schachpartie zu schenken, als Trost sozusagen. Hab ich natürlich gemacht.«
Alena sah dem Jungen und seiner Mutter hinterher, als sie jemand an der Schulter stupste. Vlado. Sie hatte nicht wahrgenommen, dass er sich herangeschlichen und sich neben sie gestellt hatte.
»Machen dich jetzt schon kleine Jungs an? Soll ich hinterher und ihn verhauen?« Er zog sie hoch und drückte sie.
»Was soll das?« Sie schob ihn weg.
»Sag«, forderte der gut gelaunte Vlado sie auf. »Was wollte der Zwerg von dir?«
»Nichts«, zischte sie, von den ewigen Kontrollfragen gereizt.
»Warum bist du so zickig?«
»Lass mich.«
»Na gut. Klappt das wenigstens mit München, nächste Woche? Meine Eltern machen dafür extra ein paar Tage frei.«
Alena packte die Spielkarten und das Buch ein und rückte die Tasche an die Seite, damit sie Platz nehmen konnten. »Komm, setz dich. Ich muss mit dir reden.«
Von dem Gespräch, das größtenteils von Magdalena und Petr han¬delte, zeigte er sich genervt.
»Ja, ja, ich werde es ihm ausrichten. Er wird sich mit Magda treffen. Und was ist nun mit München?«
***
Ondrej war der Meinung, dass das Leben aus zahllosen Schachpartien bestand. Die Figuren symbolisierten den Charakter, und die Strategie zeugte vom Reifegrad und Geist einer Seele. Er ärgerte sich, dass er die Schwarzhaarige so angestarrt hatte. Ein denkbar schlechter Zug. Die Art, wie sie in dem Roman geblättert hatte, erinnerte Ondrej an seine letzte Freundin Jennifer, und er glaubte an
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