Sonder-Edition - drei Romane (Das Mondgeheimnis, Die Gestoßenen, Den Teufel am Hals) (German Edition)
knipste er das Licht aus und erzählte von seinen Eigenheiten. Beim Lesen musste eine CD als Lesezeichen herhalten. »… und wenn ich aufstehen muss, aber eigentlich nicht mag, dann kratze ich am Boden oder brummele so lange, bis ich ganz genervt aus dem Bett steige.«
»Brumm, brumm«, machte Alena und biss in die Aprikose.
»Nein, nicht wie ein Heudrescher«, erwiderte er und bekam dafür einen Ellenbogenhieb in die Seite. »Alena?«
»Hm?«
»Magst du mir von deinen Eigenheiten erzählen?«
Sie überlegte und kaute die Aprikose. Und als sie damit fertig war, hatte sie noch immer keine Antwort parat.
»Ich glaube, dass du dir selbst ein Rätsel bist«, sagte er und sah zum Himmel hoch. Als er dem hinzufügte, dass er versuchen würde, sie zu enträtseln, verstärkte sich der Aprikosengeschmack in ihrem Mund. In diesem Moment wünschte sie sich, er würde sie berühren.
Der Mond zeigte sich am Firmament und beschien die Gebirgs¬landschaft am Horizont. Sie hob sich geisterhaft weiß aus der Dunkel¬heit empor. Dieses Bild würde sich in Alenas Erinnerung prägen, so eindrucksvoll war es. Ondrej hatte recht. Was bleibt, sind die Eindrücke.
»Was denkst du dir, wenn du das siehst?«, fragte er.
»Hm. Das sind nicht nur aneinanderliegende Berge«, mutmaßte sie. »Alte Veteranen aus Stein sind das, die sich niedergelassen haben, die felsigen Buckel aneinandergeschmiegt.«
Alena entdeckte vor ihren Füßen einen abgebrochenen Ast und warf den Aprikosenkern in die Tiefe. Ondrej reichte ihr ein Taschentuch. Der Wind säuselte.
»Hörst du, wie sie zufrieden seufzen?«, fragte er.
»Sie sind eben glücklich, genau da, wo sie jetzt sind.« Fast hätte sie selbst zufrieden geseufzt, um zu unterstreichen, dass sie sich ähnlich fühlte.
»Du inspirierst mich«, bemerkte er.
Sie hatte schon viele Komplimente bekommen, aber keins hatte ihr bisher so sehr geschmeichelt wie das von Ondrej.
***
Jemand zog den Rollladen hoch, Sonnenlicht fiel in das Zimmer. Alena erwachte von dem Klappern und wusste im ersten Moment nicht, wo sie war. Sie blinzelte und sah Magdalena, wie sie die Erde der Margerite betastete, dort am Fenstersims. In der anderen Hand hielt sie die Plastik-tüte mit Alenas Schuhen.
»Mh«, murrte Alena. »Ich bin müde.«
»Es ist drei Uhr nachmittags.«
»Fühlt sich aber nicht so an«, hielt Alena dagegen und zog sich die Decke über den Kopf. An einem Zeh spürte sie einen brennenden Schmerz.
Magdalena raschelte mit der Plastiktüte. »Wie lief es denn gestern?«
»Lass mich schlafen.«
»Aufstehen! Aufstehen! Aufstehen!«
»Magda! Mir platzt der Kopf.« Alena schob ein Bein aus dem Bett und tippte mit dem Fuß am Boden auf.
»Gott«, rief Magdalena. »Die Blase auf deinem Zeh hat die Größe von Australien.«
»Danke für die Info.«
»Ach, mit ein bisschen Penatencreme ist das bald verheilt.« Magdalena hatte leicht reden. Alena entdeckte in einer Kissenfalte einige Tannen-nadeln. In beiden Beinen spürte sie Muskelkater und an der Ferse des anderen Fußes machte ihr eine etwas kleinere Blase zu schaffen, Bulga-riengröße. Aufstehen unmöglich.
Sie zog das Bein zurück ins Bett und legte sich auf die Seite, nicht ohne Schmerzen. Sie erzählte von der vergangenen Nacht, während sie am Fell des Trösters zupfte.
»… er brummelt, wenn er sich zum Aufstehen zwingen will, oder kratzt den Boden spänig.«
»Fürs Bett ist er also gänzlich ungeeignet«, bemerkte Magdalena. »Und weiter?«
Alena fingerte die Nadeln aus dem Kissen und ließ sie auf den Boden rieseln, dann sah sie auf und beschrieb das Bild von dem Gebirgs¬horizont und dass sie darin Steinveteranen erkannt hatte.
»So kenne ich dich gar nicht.«
»Ich glaub’, diese Seite habe ich bisher verdrängt«, erwiderte Alena lächelnd. »Wir haben dann eine richtige Geschichte daraus gemacht, über die Sorgen und Ängste von solchen Steinfiguren geredet und welche Augenfarbe sie haben.«
Magdalena lachte. »Dieser Ondrej scheint ein toller Typ zu sein. Ist der noch zu haben?«
Die Frage löste in Alena ein Gefühl aus, das sie nicht wirklich zuordnen konnte. Sie verspürte ein leichtes Ziehen in der Kehle, ihr Herz klopfte fühlbarer.
»Keine Sorge, Alena, ich will nichts von ihm.«
»Wie meinst du das?«
»Du magst ihn, das sieht ein Blinder.«
»Ach, du nun wieder.« Alena drückte den Stoffmond gegen das Gesicht und vergaß für wenige Momente die Schmerzen. Sie stellte sich vor, sie wäre noch dort mit
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