Sonea - Die Heilerin: Roman
des Mädchens spürte, verließ den Raum. Als der Wächter die Tür hinter ihr verschloss, betrachtete sie die Tür daneben. Lorandra. Hat es irgendeinen Sinn, sie noch einmal zu besuchen? Ich schätze, da ich schon einmal hier bin …
Was tust du, Naki? Wo bist du? Bist du aus freien Stücken dort, oder hat dich jemand verschleppt?
Bist du überhaupt noch am Leben?
Einmal mehr krampfte Lilias Magen sich zusammen. Den ganzen Tag über waren ihr diese Fragen wieder und wieder durch den Kopf gegangen. Zuerst hatte sie sie willkommen geheißen und gehofft, dass die Antworten sich irgendwie an die Oberfläche ihres Geistes erheben würden und dass sie nach Welor würde rufen und ihn zu Sonea schicken können. Mit ihrer Hilfe würde Naki gerettet werden – oder schlicht und einfach gefunden. Ihre Freundin würde vielleicht begreifen, dass sie ihr niemals etwas antun würde. Oder aber die Gilde würde für Lilias Hilfe dankbar sein und sie vielleicht …
Mich hier herauslassen? Das bezweifle ich. Lilia seufzte. Das wird nur geschehen, wenn ich irgendwie vergesse, wie man schwarze Magie benutzt.
Sie zwang sich, mit ihrer rastlosen Wanderung durch den Raum aufzuhören, setzte sich hin und griff nach einem der Bücher. Obwohl sie begonnen hatte zu verstehen, warum es Welor gefiel – die Schlachtenbeschreibungen waren offensichtlich mit einiger Wonne niedergeschrieben worden –, hätte nicht einmal die aufregendste Geschichte ihre Aufmerksamkeit lange fesseln können. Nicht, solange die Person, die sie auf der Welt am meisten liebte, verschwunden war. Sie legte das Buch wieder beiseite.
Ein Geräusch aus dem benachbarten Zimmer lenkte ihren Blick auf die Nebentür. Sie hatte gelauscht, als Sonea mit Lorandra gesprochen hatte. Es war ein seltsames Gespräch gewesen, größtenteils einseitig, da Lorandra nicht geneigt war, Soneas Fragen zu beantworten, und wenn sie doch gesprochen hatte, hatte sie häufig vollkommen das Thema gewechselt. Obwohl beide nichts gesagt hatten, was als unhöflich oder bedrohlich gelten konnte, vermittelte die ganze Begegnung Lilia einen Eindruck von Feindseligkeit. Lorandra wollte nicht mit der Gilde zusammenarbeiten. Es überraschte Lilia nicht, als Sonea aufgab und ging.
Jetzt, da es nichts mehr zu lauschen gab, wanderte sie wieder rastlos in ihrem Zimmer herum. Ein Klopfen an der Tür ließ Lilia zusammenzucken.
»Seid Ihr jetzt mit Eurem endlosen Auf und Ab fertig?«, fragte eine gedämpfte Stimme.
Lilia lächelte schief. Wenn sie es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, die andere Frau zu belauschen, dann war es keine Überraschung, dass Lorandra ihrerseits das Gleiche tat.
»Für den Augenblick«, sagte sie und ging zur Tür hinüber.
»Ihr habt schlechte Nachrichten erhalten?«
»Ja. Meine Freundin ist verschwunden.« Lilia hatte Lorandra zwar von Naki erzählt, sie dabei aber immer nur als enge Freundin beschrieben.
»Wisst Ihr, wo sie ist?«
»Nein.« Lorandra muss gehört haben, wie ich das sagte … aber ich nehme an, sie hat nicht wissen können, ob ich gelogen habe.
»Ich wette, Ihr wünscht, Ihr könntet in die Stadt gehen und nach ihr suchen.«
»Das tue ich. Sehr sogar.« Lilia seufzte. »Aber selbst wenn ich nicht hier eingesperrt wäre, wüsste ich nicht, wo ich nachsehen sollte.«
»Was haltet Ihr für wahrscheinlicher – dass sie gegen ihren Willen fortgebracht wurde oder dass sie sich versteckt?«
Lilia überlegte. »Warum sollte sie sich verstecken? Wenn sie schwarze Magie erlernt hätte, würde das Sinn ergeben, aber Schwarzmagierin Sonea hätte es in ihrem Geist gesehen. Also ist es wahrscheinlicher, dass man sie gegen ihren Willen …« Lilia konnte den Satz nicht beenden. Sie schauderte. Und doch fühlte sie sich ein klein wenig besser. Dies war zumindest eine Antwort. Selbst wenn es keine gute war.
»Wer sollte das tun wollen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Was hat sie, das andere haben wollen könnten?«
»Geld. Sie hat das Vermögen ihres Vaters geerbt, als dieser starb.« Lilias Herz verkrampfte sich. »Vielleicht hat sie herausgefunden, wer ihn getötet hat!«
»Wenn es so ist, ist sie wahrscheinlich tot.«
Lilia schluckte schwer. Sie wollte nicht darüber nachdenken.
»Was ist, wenn sie nicht tot ist?«, fragte Lilia. »Was ist, wenn sie gefangen gehalten wird? Was, wenn sie erpresst wird?« Was, wenn jemand versucht, sie dazu zu zwingen, ihm von den Anweisungen in dem Buch über schwarze Magie zu erzählen?
Lorandra schwieg mehrere Atemzüge
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