Sonea - Die Heilerin: Roman
ein Versehen getötet und es so arrangiert, dass man Lilia dafür verantwortlich machen würde?
Das ergab keinen Sinn. Zum einen hatte Lord Leiden noch gelebt, als Lilia ihn das letzte Mal gesehen hatte, und danach war sie jeden Moment mit Naki zusammen gewesen bis nach ihrem Versuch, schwarze Magie zu erlernen.
Dann muss sie geplant haben, ihn zu töten und mir die Schuld an dem Vorhaben zuzuschieben.
Aber gewiss musste Naki gewusst haben, dass es keinen Beweis für Lilias Schuld geben würde, wenn sie sich nicht daran erinnern konnte, Lord Leiden getötet zu haben. Vielleicht hatte sie gehofft, dass das andere Indiz – das Blut an Lilias Händen – ausreichen würde, um zu ihrer Verurteilung zu führen.
Wie ist dieses Blut überhaupt an meine Hände gekommen?
»Wie kann es so viele Unterschiede zwischen Lilias Geschichte und dem geben, was Schwarzmagierin Sonea nach Lord Leidens Tod in Nakis Gedanken gelesen hat?«, sprach Lady Vinara die Frage aus, die Lilia die ganze Zeit über zu schaffen gemacht hatte.
»Ich kann nur drei Möglichkeiten erkennen, und keine ist wahrscheinlich«, erwiderte Administrator Osen. »Entweder war Schwarzmagierin Sonea nicht erfolgreich, als sie Nakis Gedanken gelesen hat, oder Naki ist in der Lage, eine Gedankenlesung zu vereiteln, oder Lilia ist dazu in der Lage.«
»Dann schlage ich vor, dass Schwarzmagier Kallen jetzt die Gedanken der beiden jungen Frauen liest«, sagte der Hohe Lord Balkan.
Osen blickte sich im Raum um. Alle Magier nickten, Sonea eingeschlossen. Lilia unterdrückte einen Seufzer und wappnete sich gegen einen weiteren Geist, der in den ihren eindringen würde.
Was immer nötig ist, dachte sie. Ich werde jede Strafe akzeptieren, die ich verdiene, solange ich nicht für etwas bestraft werde, das ich nicht getan habe. Mehr wollte sie nicht, jetzt, da sie Naki nicht länger liebte. Ich dachte zwar schon, ich würde mir das nur selber einreden, aber ich glaube, ich liebe sie wahrhaftig nicht mehr. Es ist schwierig, jemanden zu lieben, der versucht hat, einen zu töten. Die Liebe ist doch nicht so bedingungslos, wie es die Lieddichter immer behaupten.
»Lasst Naki herholen«, sagte Osen. Dann nickte er Kallen zu. »Ihr habt meine Erlaubnis, Lilias Gedanken zu lesen.«
Schwarzmagier Kallen trat von der Wand weg, an der er gestanden hatte, und ging um die Stühle herum zu Lilia, die vor Osens Schreibtisch stand. Er musterte sie nachdenklich, dann legte er beide Hände an ihren Kopf. Sie schloss die Augen.
Diesmal war die Erfahrung auf kaum merkliche Weise anders als beim letzten Mal. Seine Suche war langsamer, obwohl das daran liegen mochte, dass er sorgfältiger zu Werke ging, da er ja wusste, dass Soneas Lesung nichts über ihre Schuld zutage gefördert hatte. Kallen betrachtete all ihre Erinnerungen, aber sie spürte nichts von ihm, und er sprach sie nicht ein einziges Mal an. Der einzige Hinweis auf eine Reaktion war der Umstand, dass er ihre früheren Gefühle für Naki ziemlich schnell überging, sobald er auf sie traf.
Sie begriff erst, dass es vorüber war, als der Druck seiner Hände auf ihre Schläfen nachließ. Sie öffnete die Augen und blickte zu Kallen auf. Er sah sie stirnrunzelnd an.
»Ich sehe nichts, was sie uns nicht erzählt hat«, stellte er fest. »Keine Täuschung. Alles, was sie gesagt hat, hält sie für die Wahrheit.«
Kallen trat beiseite. Sie sah, dass die Höheren Magier sich umgedreht hatten, um auf die gegenüberliegende Seite des Raums zu schauen, und als sie bemerkte, was sie beobachteten, krampfte ihr Herz sich zusammen.
Gleichzeitig überkam sie eine merkwürdige Panik, und die unangenehm lebhafte Erinnerung an das Gefühl der kalten Klinge an ihrem Hals beherrschte ihr Denken.
»Bringt sie her«, befahl Osen.
Nakis Gesicht war bleich und mürrisch. Als einer der beiden Magier, die links und rechts von ihr gestanden hatten, sie energisch an ihren Platz schob, runzelte sie finster die Stirn. Ihr Blick flackerte zu Lilia herüber und wurde höhnisch, und ihre Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen.
Sie ist nicht länger schön, durchzuckte es Lilia. Etwas hat sie verändert. Etwas hat sich in ihr verändert. Schockiert und von einem Gefühl der Übelkeit befallen bewegte sie sich so weit von Naki fort, wie sie das tun konnte, ohne den Ring der Magier zu verlassen.
Kallen legte Naki die Hände an die Schläfen und starrte sie eine Zeitlang an. Alle beobachteten sie schweigend. Naki hielt die Augen offen und
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