Songkran
Bauarbeiter die neuste Ausgabe der Thai Rath auf den Boden fallen lassen. War es Zufall oder Bestimmung, dass Gun die Zeitung aufnahm und durchblätterte. Sonst las er nie die Thai Rath, da der aufdringliche Boulevardcharakter ihm gegen den Strich ging.
Nach einer Nacht wirrer Träume war Gun an diesem Montagmorgen schweißgebadet aufgewacht. Bruchstückhaft schwirrten Fetzen seiner nächtlichen Gedankenreise durch den Kopf. Das war merkwürdig, da er die Inhalte seiner Träume unter normalen Umständen vergaß. War es das schwarze Sakko, die schwarze Hose oder die schwarze Krawatte, die sich in sein Gedächtnis eingefräst hatte. Wenigsten wusste er, dass schwarz gekleidete Personen, die in thailändischen Träumen herumspuken, Unglück bedeuten. Aber eben nur für abergläubige Menschen und nicht für ihn, der daran nicht glaubte. Den Traum verschwieg er vor seiner Frau. Sie hätte ihm sonst geraten, einen Moor Duu aufzusuchen. Der Experte für Übersinnliches hätte ihm empfohlen, wachsam zu sein und vielleicht jenes oder dieses Amulett zu tragen. Aber da Gun diesbezüglich ein Ignorant war, nahm das Unglück seinen Lauf.
„Danke Noi. Sie sind meine Rettung“, sagte Gun zu seiner Mitarbeiterin, ohne seinen Blick von der Zeitung ab zu wenden. Noi stellte eine Tasse heißen Kaffee auf seinen Schreibtisch.
„Hatten Sie nicht immer auf die Thai Rath geschimpft, Sir?“, erwiderte Noi selbstbewusst und richtete ihren Blick auf die aufgeschlagene Thai Rath in seinen Händen. Der ironische Seitenhieb von ihr war Gun in seiner Konzentration auf das Geschriebene entgangen.
„Habe ich auf die Thai Rath geschimpft?“, nuschelte er geistesabwesend vor sich hin. Seine linke Hand griff zur Kaffeetasse.
„Oft, Sir.“ Noi nickte.
„Vielleicht wird es ja Zeit, dass ich die auflagenstärkste Zeitung des Landes lese.“
Noi merkte, dass ihr Chef in diesen Zeitungsartikel vertieft war. Schweigend verließ sie den Raum. Als sie behutsam das Türschloss einrasten ließ, senkte Gun die aufgeschlagenen Seiten nach unten und seine Augen blickten über den Zeitungsrand hinweg in sein tristes Arbeitszimmer. Dann wanderte seine Aufmerksamkeit zurück zur Titelstory der Thai Rath. Rechts neben dem attraktiven Titelmädchen, das die linke Hälfte der Titelseite dominierte, prangte die fettgedruckte Schlagzeile: „Schießerei in Bang Yai! Zwei Tote!“
Ein grobkörniges Foto zeigte den Tatort mit den zerfetzten Leichen. Die Gesichter der Toten waren nicht zu identifizieren. Den erklärenden Text zum Tathergang fand Gun auf der Rückseite. Die entscheidenden Informationen waren nähere Details über die Erschossenen. Der Artikel sprach von einem Studenten der Thammasat Universität, der durch mehrere Kopfschüsse getötet wurde. Das zweite Opfer war Mitglied einer chinesischen Mafiaorganisation, so ein zitierter Polizeisprecher. Der Student galt seit dem 19.Oktober des letzten Jahres als vermisst. Genau am 18. Oktober, so erinnerte sich Gun, hatte er das entscheidende Gespräch mit Superintendent Chaiyon gehabt. Daraufhin musste er die SOKO Nana Plaza auf höchsten Befehl auflösen, alle Unterlagen an das DSI abgeben und die illegalen Außenbars wieder öffnen. Dann legte sich ein Schleier des Schweigens über die Bombe und ihre Hintermänner.
Nach mehrmaligen Lesen des Artikels hatte Gun kaum noch Zweifel, dass der Thammasat-Student aus Bang Yai einer der gesuchten Bombenleger war.
Aber etwas stimmte nicht: Die Namen der Beteiligten wurden in dem Zeitungsbericht nicht bekanntgegeben. Das widersprach der journalistischen Gepflogenheiten in Thailand, Ross und Reiter, mutmaßlich oder nicht mutmaßlich, beim vollen Familiennamen zu benennen.
Gun griff in die obere Schublade seines Schreibtisches und holte ein Blatt Papier heraus. Konzentriert trug er die Fakten zusammen und notierte stichpunkthaft: Wieso musste Lumphini den Fall abgeben? Befehl von Thanee! Warum wurden die Bars wieder geöffnet? Wahrscheinlich wurden die Bombenleger gefasst. Vom DSI? Aber wenn der tote Student von Bang Yai einer der gesuchten Bombenleger ist, hätten dann nicht die Außenbars geschlossen bleiben müssen? Vielleicht wurde der fehlende Sprengstoff gefunden? Möglich, aber unwahrscheinlich! Was passierte mit den anderen Bombenlegern? Mit der Anruferin? Zum Untertauchen bieten die vielen, abgelegenen Holzhäuser an den Khlongs von Bang Yai die ideale Umgebung. Wer war hinter dem Studenten her gewesen? Das DSI! Welche Abteilung innerhalb des
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