Songkran
den Haupteingang. Zufrieden?“ Fragend schaute er dem Muskelpaket in die Augen. Dieser nickte ihm zu.
Der Muskulöse tastete sich die Stufen der Veranda hinauf. Das Holz knarrte. Für einen kurzen Moment verharrte er auf der Stelle. Dann schlich er weiter. Geräuschlos knackte er mit einem Schraubenzieher das Schloss der Eingangstür, das aus einem einsamen Holzriegel bestand. Er nickte dem Hageren zu. Darauf kletterte dieser über den niedrigen Drahtzaun und balancierte auf der Bohle an der Hauswand entlang. Mit der rechten Hand stützte er sich an der Holzwand ab. Die linke Hand hielt den Revolver, die Mündung auf die Wasseroberfläche gerichtet. Unter seinem Gewicht drückte sich die schmale Bohle nach unten. Wasser schwappte auf Holz und Schuhe.
Mit der Taschenlampe leuchtete der Muskulöse den Innenraum des Holzhauses ab. Der Lichtkegel erfasste eine einmeterfünfzig hohe Ganeshafigur. Der Anblick des steinernen Elefantenkopfs mit dem kesselförmigen Bauch erschrak den Muskulösen bis ins Mark. Die vier Arme des Hindugottes schienen nach ihm zu greifen. Schützend hielt er die Hand mit der Taschenlampe vor sein Gesicht.
Plötzlich hörte er splitterndes Holz; dann eine umfallende Lampe, gefolgt von einem dumpfen Laut, wie ein auf den Boden gefallener Sack Reis. Der verzweifelte Hilfeschrei eines Mannes schallte durch die Dunkelheit. Oder war es der Schrei eines Dämons? Der Muskulöse hielt die Taschenlampe in Richtung der gepeinigten Kreatur. Schnell ging er darauf zu. Ein kurzes Blitzen in der Dunkelheit, dort wo der Schrei herkam; ein ohrenbetäubender Knall durchfuhr sein Trommelfell. Plötzlich spürte er ein Stechen im Oberbauch; die Kugel des Studenten bohrte sich durch seine Bauchmuskeln, riss ein großes Austrittsloch in den unteren Rücken und schlug in die Holzwand; Blut drang durch sein blaues Hemd; die Kniee versagten; der Kopf des Muskulösen schlug seitlich auf die Dielen. Mit letzter Kraft sah er aus dem Augenwinkel, wie der Hagere den Studenten mit drei Schüssen in den Hinterkopf exekutierte. Eiseskälte durchzog seinen Leib. Sein Bewusstsein schwand. Fünf Minuten später war er verblutet.
Zurück im Spiel
Montagnachmittag
„Du bist das Mädchen mit der Nummer 9?“, fragte Inspektor Gun genervt. Er hielt der Achtzehnjährigen einen Fotokatalog vors Gesicht. In ihrer ungeschminkten Version sah das Mädchen aus wie eine Schülerin. Schuldbewusst nickte die Kleine.
„Seit wann arbeitest du für diese …“ Gun suchte nach dem passenden Wort „...Lottofirma?“ Er schüttelte den Kopf. Dieser Fall überstieg seine Fantasie. Und das in seinem Revier.
„Seit zwei Monaten“, flüsterte das Mädchen. Ihre Augen waren auf das kleine Tonbandgerät gerichtet, das zwischen ihr und Gun auf dem Tisch lag.
„Wann hast du Geburtstag?“, fragte der Inspektor nach.
„Im Januar.“
„Also bist du mit 18 Jahren in die Firma eingetreten.“
Das Mädchen erhob ihren Blick und suchte Augenkontakt mit dem Polizeiinspektor. Bevor sie die Frage bejahen konnte, klopfte es an die Tür des Verhörraums.
„Sie können sich jetzt um das Mädchen kümmern“, sagte Gun mit einem Lächeln im Gesicht. Die ältere Polizeikollegin an der Türschwelle gehörte einer Spezialabteilung der thailändischen Polizei an, die für Kinder, Jugendliche und Frauen zuständig war.
Gun schaltete das Tonbandgerät aus, ging zum Fenster und öffnete es. Die Raumluft war stickig. Flüchtig traf sein Blick die alte BMW, die in einem verrostetem Blechverschlag des Hinterhofes abgestellt war. Davor lag Gerümpel aus alten Eisenrohren, einer ausrangierten Klimaanlage made in USA der sechziger Jahre und weiterer Metallschrott. Gedankenverloren verharrte der Inspektor am Fenster. Dann ging er zurück zum Tisch und nahm den zerfledderten Katalog in die Hand. Die Klarsichtfolie, die die einzelnen Seiten einband, war an den Kanten und Ecken eingerissen. Die Ganzkörperfotos zeigten Mädchen in ihrer Freizeitkleidung. Bewusst hatten die Macher des Katalogs Nacktheit vermieden, um juristisch nicht angreifbar zu sein. Als Beweismittel in einem späteren Gerichtsprozess war der Katalog nur bedingt verwendbar. Gun überflog den Begleittext, der in tabellarischer Form den Fotos beigeordnet war. Die dürftigen Informationen beschränkten sich auf den Namen, das Alter und den Wohnort der Frauen. Kataloge für Partnervermittlung sind aufregender, kam Gun in den Sinn.
Ruckartig öffnete sich die Tür und Mex trat herein.
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