Sonne, Meer und Bea (German Edition)
mit fleckiger Uniform serviert uns höflich einen riesigen Berg Reis auf einer Metallplatte. Diese hat an einer Seite drei Vertiefungen, welche mit Daal, einem Kartoffel- sowie einem Blumenkohl-Gericht gefüllt sind. Paul saugt den aromatischen Duft tief ein. Zu meiner Rechten schlurft unsere Servicekraft heran, schöpft mit einer Kelle eine klare Flüssigkeit aus einem Henkeltopf und gießt sie über meinen Reis.
»Oh, das wird Ghee sein«, stellt Paul fest und beäugt neugierig die Prozedur, die nun für seinen Teller stattfindet. Zum Schluss legt der Mann noch je zwei Chapatis vor uns und wir werden unserem Essen überlassen. Die Kartoffeln sind wahnsinnig scharf und steigen mir direkt in Nase und Augen. Während ich schniefe und mit dem Schmerz kämpfe, erscheint erneut die Bedienung und füllt die fast leere Mulde wieder mit Kartoffeln auf. Auch ein weiteres Brot landet auf meiner Platte. Jetzt ist der Essensberg vor mir wieder fast so groß wie zu Beginn. Alle weiteren Nachschläge lehne ich ab, damit es, wenn ich satt bin, auch so aussieht als hätte ich etwas gegessen. Am Ende bleibt über die Hälfte des Reises auf meinem Teller. Unsere Bedienung blickt mich an, unsicher, ob er meine Platte auch wirklich schon abräumen könne.
»Finished?«, fragt er.
»Yes, finished. Delicious, but too much for me«, versuche ich ihm zu erklären. Nicht einmal Paul hat es geschafft komplett aufzuessen und ich wundere mich, wohin die anderen Gäste diese Riesenportionen stecken.
Pappsatt wende ich mich Paul zu: »Wo ist jetzt deine Pferdekutsche, die uns zurück zum Hotel bringt?«
Er grinst schon wieder. »Hat hier jemand etwas von einem Pferd gesagt?«
Fünf Minuten später sitze ich auf einer Fahrrad-Rikscha hinter einem alten dürren Mann. Ich blicke auf seine wenigen, fettigen Haarsträhnen, die er von den Seiten über seinen ansonsten kahlen Kopf gekämmt hat. Romantik ist in meinem Verständnis etwas anderes! Mir tut der Mann leid, der uns unter Aufbringung all seiner Kraft in langsamem Tempo über die Straßen kutschiert. Besonders als wir von einem jüngeren Fahrrad-Rikschafahrer spielend überholt werden. Aber unser gibt nicht auf. Mit stoischer Ruhe und Ausdauer bahnt er sich den Weg zu unserer Unterkunft. Er beeindruckt mich, und auch wenn wir eine Ewigkeit brauchen, hätte ich keinen anderen Fahrer haben wollen. Am Ende geben wir ihm zehn Rupien mehr als ausgemacht. Seine Augen strahlen und er winkt uns zum Abschied hinterher. Trotz fehlender Romantik, einen schöneren Tagesabschluss hätte ich mir nicht vorstellen können.
Ich freue mich auf Morgen. Der Taj Mahal wird die Romantik-Quote ins Unermessliche heben und für alles entschädigen.
ॐ
Der Anblick ist atemberaubend. Und wir haben ihn fast für uns alleine. Gut, dass wir so früh aufgestanden sind. Nun stehen wir mit wenigen anderen Indern vor dem beeindruckenden Bau und genießen den Moment. Als Erstes nutzen wir die Leere der Anlage und machen einige Fotos: Den Taj Mahal alleine aus verschiedenen Perspektiven, Paul davor, ich davor und schließlich stellt Paul die Kamera auf eine Mauer und betätigt den Selbstauslöser. Schnell rennt er zu mir und umarmt mich für das Foto. Kurz, aber aufregend. Denn, um den Gepflogenheiten des Landes gerecht zu werden, verzichten wir weitestgehend auf alle Intimitäten in der Öffentlichkeit, die für uns in Deutschland ganz selbstverständlich sind. Eigentlich finde ich das gar nicht verkehrt, denn auf diese Weise gewinnen Berührungen wieder viel mehr an Bedeutung. Dennoch ist es aus der Gewohnheit heraus noch merkwürdig, wenn wir unterwegs nicht einfach mal Händchen halten können. Die Inder praktizieren dies nämlich mit Hingabe, allerdings nur gleichgeschlechtlich.
Nachdem wir das Grabmal einmal umrundet haben, steuern wir auf den Ausgang zu. Inzwischen sind zwei Stunden verstrichen und das Gelände hat sich mit lärmenden Schulklassen und westlichen Touristen gefüllt. Der Zauber der Morgenatmosphäre ist verflogen. Es ist Zeit aufzubrechen.
Paul
Der Taj Mahal. Die Pracht Indiens. Das Denkmal ewig währender Liebe. Wir haben es gerade hinter uns gebracht. Ganz so schlimm, wie ich es mir vorgestellt habe, war es nicht, aber auch nicht wirklich eindrucksvoll. Es mag daran liegen, dass ich kein Romantiker bin. Oder mir die Vorschreibungen auf den Nerv gehen, was man wo zu fühlen hat. Ein »Oh«, ein »Ah«, ein Foto fürs Album und dann weiter auf dem Pfad der gesammelten Eindrücke.
Weitere Kostenlose Bücher