Sonne, Meer und Bea (German Edition)
mich unweigerlich an Pondicherry. Hier kamen mir ernste Zweifel an der Erhabenheit und Zufriedenheit der Ashramis. Aber sie sind drollig anzuschauen.
An zweiter Stelle kommen die Sinnsucher, die sich in ihrer Haut nicht wohlfühlen und nach der Wahrheit suchen. Sie sind sozusagen eine Vorstufe zum Ashrami. Manche landen in den Ashrams, andere geistern durch das Land und suchen verzweifelt nach Anschluss. Wo Silvie jetzt wohl sein mag?
Die dritte Gruppe findet es hip durch Indien zu reisen und trampelt auf den ausgetretenen Pfaden der Reiseführer entlang und sucht Kontakt nur zu Ihresgleichen. Dazu gesellen sich Pauschaltouristen und die wahren Abenteurer. Eine Gruppe, die aus der Zeit gefallen scheint, sind die Hippies.
»Ich dachte, die gibt es längst nicht mehr«, sage ich noch zu Maja, als der waschechte Hippie vor uns steht und fragt, wo der Zug nach Goa abfahren würde. Der Zug ist noch nicht da, werde aber aller Voraussicht nach hier ankommen, versuche ich ihm verständlich zu machen. Er kneift den Mund zusammen als müsse er nachdenken. Ich blicke ihm ins Gesicht. Um seinen Mund befindet sich ein stattlicher Vollbart, der in lange zottelige Haare übergeht, die an den Seiten aus einem Strohhut hervorlugen. Um seinen Hals trägt er eine Menge bunter Holzketten.
Er kratzt sich über die Schläfe und fragt weiter, wann der Zug in Goa ankäme. Mir ist neu, dass ich seit Kurzem für die indische Eisenbahn als Fahrauskunftler eingestellt worden bin, aber er hat Glück, dass wir auch dort hin wollen. Ich krame mein Notizbuch hervor, in das ich mir die Zeiten aus dem Internet herausgeschrieben habe, nenne ihm die planmäßige Ankunftszeit und deute an, dass auch wir nach Goa fahren werden. Ein kurzes »Danke« und er zieht von dannen, zurück zu seiner Gruppe, die ihn anschaut als würde er ihnen eine Heilsbotschaft übermitteln.
»Hippies. Sage ich nur. Hippies!«, stichel ich zu Maja hinüber, die mich fragend anschaut.
»Was hast du gegen Hippies?«
»Na, hast du den nicht gesehen? Vollkommen fertig sah er aus. Und diese albernen Holzketten um seinen Hals. So super-alternativ.«
»Du musst auch an allem herummäkeln«, gibt sie mir kontra und schaut mich beleidigt an.
Ich stocke. Wir hatten doch immer so viel Spaß daran, über andere Reisende herumzulästern.
»Maja. Majalein. Lass mir doch die Freude«, bettel ich sie an.
»Paul, du musst schon zugeben, dass es ein wenig intolerant ist, über andere Lebensformen hochnäsig zu urteilen.«
Intolerant? Das hat gesessen. Eigentlich bin ich äußerst tolerant. Dass Maja das nun infrage stellt. Nein. Ich bin empört.
»Ich bin nicht intolerant. Und schon gar nicht hochnäsig.«
»Sind wir denn soviel besser als die anderen Reisenden?«, zertrümmert sie mein gesamtes Weltbild.
Nein, sind wir nicht und ich weiß nicht, wie es geschehen konnte, dass ich mich so über andere Menschen gestellt habe.
»Wohl nicht«, antworte ich. »Aber du musst auch zugeben, dass sie das provozieren. Und über die Leute im Ashram hast auch du gelacht!«
»Die waren aber auch wirklich lustig«, gibt Maja nach und lacht.
Was hat sie dazu bewogen, die Hippies zu verteidigen? Mir wird das nicht klar.
Blöderweise besteigen die Hippies den gleichen Wagen wie wir, nur zwei Abteile weiter. Sie grüßen nicht, gehen an uns vorbei als hätten wir vor zehn Minuten nicht noch miteinander geredet.
»Die sehen zwar aus wie Hippies, aber eigentlich sind das doch keine«, meint Maja skeptisch.
Interessiert hake ich nach. »Und wie erkennt man echte Hippies?«
Maja bleibt ganz ernst und versucht mir zu erläutern, weswegen die keine Hippies seien, obwohl sie so ausschauen.
»Maja, bist Du ein Hippie?«
»Wäre das so schlimm?«
Ich weiß, ihre Eltern leben alternativ und ich finde das okay. Mein Vater hingegen ist Geologe und daher sehr nüchtern und sachlich. Ihn interessieren Fakten und Steine. Meine Mutter ist Oberstufenlehrerin für Kunst und Sozialkunde, sie steht sämtlichen Ideologien ebenso skeptisch gegenüber wie mein Vater.
»Nein, schlimm wäre es nicht.«
»Dann ist ja gut. Aber ich bin kein Hippie.«
Maja erzählt mir ein wenig, wie sie aufgewachsen ist. Ich finde es interessant, Seiten von ihr zu erfahren, die ich bislang noch nicht kannte. Wie Eltern ihre Kinder prägen können. Meine Kindheit bestand hauptsächlich aus Museums- und Galeriebesuchen sowie aus Reisen zu geologisch auffälligen Formationen. Es war als Kind immer anstrengend, aber jetzt bin ich
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