Sonne, Schnee und Tote
welche geschäftlichen Verknüpfungen im Lagerhaus am
Wilhelmina-Pier zusammenliefen. Klar war nur, Petr Stojic kappte seine
Beziehungen und sein Plan, die letzte Lieferung vor den Mexikanern
entgegenzunehmen, war in weiten Teilen aufgegangen. Zwanzig Kilogramm Kokain
warteten im Kellergeschoss des Kühlhauses darauf, abtransportiert zu werden.
Das war die letzte Nachricht ihres Kontaktmannes am letzten Samstag gewesen,
danach hatte niemand mehr etwas von ihm gehört oder gesehen. Ob dem Kerl etwas
zugestoßen war, konnte weder jemand bestätigen noch jemand dementieren. Unerheblich.
Er war ein Strohmann, eine Marionette, nicht mehr. Nach Stojics Plan hatte
niemand sterben sollen, aber für den Fall, dass es doch so sein würde, war
ebenjener vorgesehen gewesen. Er hätte das Opfer an Namirs Stelle sein sollen.
Er und niemand sonst. In diesem Punkt war die Geschichte grausam schiefgelaufen
und Imar spürte bei dem Gedanken daran heiße Wut und Hass gegen diese
verfluchten Kartellwichser in sich brodeln. Sie würden noch dafür büßen.
Petr hatte ihm versprochen, dass er seine Rache bekäme, sobald er alles unter
Dach und Fach gebracht hatte. Das würde er heute Nacht und anschließend würde
er sich aufmachen, um den Peinigern seines kleinen Bruders die gleichen
Schmerzen zuzufügen, die und noch viel, viel mehr.
Er
riskierte einen Blick auf die Armbanduhr und beschleunigte seine Schritte. Es
ging dem Abend entgegen. Der letzte Akt des Betrugs stand an.
***
„Wir
machen es heute Nacht. Er hat bis jetzt nicht reagiert, warum sollte sich das
bis morgen ändern“, entschied Margez und sah durch die schmutzigen Fenster des
alten Warenumschlaglagers.
„So
einfach ist es nicht. Wenn er das Zeug wirklich nicht hat, kann er schlecht
reagieren“, wägte Rogelio ab. Er saß auf einem Haufen alter Holzpaletten und
hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
„Schwachsinn!“
Margez
schwang herum und kam mit erhobenem Zeigefinger auf Rogelio zu. Die Wut schien
seine Augen noch tiefer in ihre Höhlen zu treiben. Seine Schritte knarrten auf
den uralten staubigen Holzplanken.
„Er
hat Ruben erschossen, er weiß genau, was er tut.“
„Richtig“,
schnaufte Rogelio und versuchte ruhig zu atmen. Der Chinese hatte ihm dazu
geraten und ganz unvernünftig war dieser Rat nicht gewesen. In ihm brodelte die
gleiche Wut, wie in Margez Brust, aber sie durften jetzt nicht den Kopf
verlieren. „Deshalb müssen wir vorsichtig sein, Margez. Wir dürfen nicht zu
emotional handeln.“
„Er
ist ein hinterhältiger alter Sack. Wenn du nicht handelst, tu‘ ich es. Die
Sprengladungen sind alle bereit.“
Rogelio
stand auf und massierte sich den verspannten Nacken. „Lass mich nur noch einen
Augenblick überlegen. Nur einen Augenblick noch.“
„Was
gibt es da noch zu überlegen?“, fragte der kleine Mexikaner, griff nach den
Schultern seines Chefs und zog ihn zu sich herunter. „Rogelio, verstehst du
nicht? Einer verliert alles. Es heißt nur noch: er oder wir. Und wenn wir nicht
jetzt handeln, dann werden wir es sein!“
„ Puta
madre ! Ich weiß!“, knurrte Rogelio, sprang auf und riss sich los.
„Dann
ist klar, was wir tun müssen.“
Rogelio
antwortete nicht.
***
Als
Kind hatten Labyrinth- und Zeichenrätsel zu seinen Lieblingsspielen gehört. Er
war ganz versessen darauf gewesen, den richtigen Weg oder die richtigen
Lösungsworte zu finden, aber diese Versessenheit stellte sich bei ihm derzeit
nicht ein. Der letzte Bauplan des Lagerhauses lag ausgebreitet vor ihm auf dem
Schreibtisch, eine Draufsicht der Kellerebene. Er wurde aus diesem Zeug einfach
nicht schlau und vielleicht wollte er das auch einfach nicht.
Eigentlich
stand Bloemberg an diesem Nachmittag nur noch der Sinn danach, sein Büro zu
verlassen und nach Hause zu fahren. Vorher würde er sich eine Flasche Tequila
oder irgendeinen anderen hochprozentigen Fusel bei Alex Sanchez, dem Besitzer
der Tapasbar in der Pannekoekstraat, schnorren und haufenweise Zeit damit
verbringen, den heutigen Tag im Alkohol zu ertränken. Das erdrückende Gefühl,
die ganze Welt habe sich gegen ihn gewandt, schwebte über ihm. Es war überall.
Egal ob er nun hier in seinem Büro saß oder die Flucht ergriff und planlos
durch das Gebäude lief, er konnte diesem Gefühl nicht entkommen. Vor nicht
einmal einer Woche hatte er eine Chance bekommen, die er nicht hatte haben
wollen und er hatte sie grandios versiebt. Der Kollege, mit dem er ein halbes
Jahrzehnt
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