Sonne, Schnee und Tote
war ein Geschenk Bloembergs zu ihrer fünfjährigen Zusammenarbeit
gewesen und sollte Maartens scherzhaft daran erinnern, wenn er wieder einmal zu
spät war. Die Uhr hatte eine eingebaute Weck- und Erinnerungsfunktion, die
sinnvollerweise eine Minute nach Dienstbeginn - mit der Synchronstimme Nelsons
aus der Comicserie „Die Simpsons“ und in ungeahnter Lautstärke – begann,
herumzukrakeelen. „HA! HA! Zu spät! HA! HA! Zu spät!“, und erst damit aufhörte,
wenn Fred den roten Knopf auf der Unterseite drückte. Jeden Morgen hörte er das
Geplärre bereits am Treppenabsatz und auf dem Weg durch den Flur im zweiten
Stock, einem kahlen länglichen Raum mit grauen Rollputzwänden,
Marmorimitatfußboden und vereinzelt vor sich hinwelkenden Topfpflanzen, für die
sich keiner verantwortlich fühlte.
Maartens
war mehrmals versucht gewesen, die nervtötende Uhr aus dem Fenster zu
schmeißen. Bislang hatte er davon abgesehen, weil sich ausgerechnet unter
seinem Bürofenster der Fuhrpark der Station befand. Er war nicht gerade wild
darauf, eine Stange Geld für die Reparatur eines mutwillig beschädigten
Dienstwagens hinzublättern. Immerhin war es ihm letzte Woche gelungen, den
Alarm um fünf Minuten hinauszuzögern. Was zumindest ein kleiner Erfolg war,
denn er wusste weder, wie er das angestellt hatte, noch gab es irgendwelche
Knöpfe, die er hätte bedienen können. Das Gerät war ein einziges Mysterium und
Bloemberg weigerte sich eisern, ihm das Geheimnis zu verraten.
„Dieser
verdammte Bloemberg“, knurrte Fred und löste seinen Blick von der Uhr.
Er
saß allein in seinem Büro. Einem Raum, in dem, wie er zu sagen pflegte, das
geordnete Chaos herrschte. Er wusste selbst, dass er bei den ganzen
unsortierten Akten und Blättern auf dem Schreibtisch und in den Regalen –
sollte das je notwendig sein - so schnell nichts wiederfinden würde, aber das
war ihm relativ gleichgültig. Vieles davon war abgehakter Kram, der längst ins
Archiv gehörte, nach dem jedoch kein Hahn krähte.
Gelangweilt
wippte er mit seinem Stuhl vor und zurück und blätterte dabei durch den Bericht
des Brandermittlers und stierte auf die Tatortbilder. Bloemberg war seit zwei
Stunden fort und hatte ihn, vom Auswerten der Sachen, die jetzt vor ihm lagen,
abgesehen, ohne weitere Instruktionen zurückgelassen und das war vor einer
halben Stunde, binnen weniger Minuten, mehr oder minder geschehen.
Die
Brandermittler bestätigten nur, was die Jungs aus dem Labor mit der Analyse des
Schneeballs bereits hatten vermuten lassen. Der Brand war durch eine starke
exotherme Reaktion des chemischen Gemisches in der Hand des Toten ausgelöst
worden. Danach hatte es den Stuhl und die Leiche in Brand gesetzt und war auf
den Putzmittelwagen der Tatortreinigung übergegriffen, bevor die Feuerwehr den
Brand gelöscht hatte. Die Tatortbilder hatte sich Fred
nur müßig angeschaut und nichts Verdächtiges entdeckt. Was gut war, denn so war
er nicht genötigt, irgendetwas zu notieren. Die ihm zugeteilten Arbeiten hatte
Maartens also ohne Frage erledigt.
Der
Commissaris zumindest war zufrieden damit und eigentlich war es für ihn auch nicht
weiter problematisch, wenn er nichts zu tun hatte. So konnte er auf den eigenen
vier Buchstaben sitzen und warten, dass sich die Arbeitszeit bezahlt machte.
Man musste keine stressigen Ermittlungen führen, lästigen Papierkram erledigen
oder sich von Festgenommenen beschimpfen lassen. Wenn man so wollte, war der
derzeit herrschende Zustand Maartens‘ perfektes Verständnis eines Traumberufes
und doch war er schlecht gelaunt.
Es
schmeckte ihm nicht, dass der jüngere Kollege ihn jederzeit herumkommandieren
konnte, auch wenn er das noch gar nicht getan hatte. Er ärgerte sich auch
darüber, dass der Dicke ihn quasi degradiert hatte und vor allem nervte ihn,
dass Bloemberg ihm jetzt nicht mehr unterstellt war.
Das
Sonnenblümchen hat dich einfach überflügelt. Fred, du arme Sau , dachte er, während er den Hebel seines
Stuhls betätigte und - aufgrund seines Gewichtes schneller als die meisten
anderen - mit der Sitzfläche gen Boden sank. Der Gedanke daran, dass sein
Kollege einen Schritt nach oben machte, während er den entgegengesetzten Weg
einschlug, trieb seinen Puls in die Höhe und war schier unerträglich. Er
spürte, wie die Ader an der Schläfe heftig pochte.
Was
war nur aus seinen Rechten als Angestellter der Exekutive dieses Landes geworden?
Seit wann konnte der Vorgesetzte einfach schalten und walten, wie er
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