Sonne, Schnee und Tote
hat er glaube ich nicht. Er pflegt aber seine schwer kranke Großmutter,
soweit ich weiß. Ich kann’s nicht glauben! Karim ist ein guter Kerl, ein
fleißiger Mensch. Sie glauben doch wohl nicht, dass er etwas damit zu tun hat.
Er arbeitet seit fünf Jahren für meine Familie, immer in verschiedenen
Positionen. Es gab nie irgendwelche Beschwerden über ihn. Ich würde mich für
den Jungen verbürgen.“
Bloemberg
lächelte müde, überging Nasridims Beteuerungen aber einfach und begann
stattdessen zu sticheln.
„Sie
haben ihn also nicht erreicht. Ist Ihnen egal, was mit Karim ist? Ist Ihnen gleichgültig,
dass er vielleicht etwas mit dem Mord zu tun hat? Und wenn Ihnen so viel an
diesem Mann liegt, sind Sie dann mal vorbeigefahren, um zu fragen, wie es ihm
geht?“
Bloembergs
Verhalten setzte Hadosh sichtlich zu. Der Mann rang um Fassung und die passenden
Worte.
„Nein
... Nein … Ich hatte die letzten Tage selbst genug zu tun. Das Feuer, der
Schaden, das ganze Chaos.“ Die Stimme des Alten verlor etwas von ihrer
Sachlichkeit und füllte sich langsam mit Aufregung und Wut.
„Ganz
im Ernst, Hadosh. Glauben Sie, Karim könnte was mit den Vorfällen von Samstag
zu tun haben?“
„Nein,
in keinem Fall. Karim ist ein guter Mensch.“
„Und
wenn er nun doch etwas mit dem Tod Ihres Sohnes zu tun hat?“
„Dem
Tod meines Sohnes?“ Hadoshs Stimme begann bei dem Wort Sohn zu beben.
„Ja,
dem Tod Namirs.“
„Namir“,
der alte Fleischfabrikant spuckte den Namen aus, als sei er ein verdorbenes
Lebensmittel.
„Stimmt
etwas nicht? Das ist doch der Name Ihres Sohnes? Namir Hadosh?“, fragte
Bloemberg.
Hadosh
stutzte, irgendetwas trieb ihm endgültig die Zornesröte ins Gesicht. Es war
beinahe erschreckend. Eine solche emotionale Transformation hatte Kees
Bloemberg in seiner gesamten Polizeilaufbahn bislang nicht miterlebt. Er fühlte
sich, als hätte er den bösen Zwilling des Mannes vor sich, der am Samstag mit
zusammengesunkenen Schultern und tiefer Trauer im Herzen vor ihm gestanden
hatte.
„Was
soll die Fragerei nach Namir und seinem Namen?“, keifte Nasridim jäh. „Der
verzogene Bengel ist tot. Sonst gibt es zu diesem Thema wohl nicht mehr zu
sagen.“
Kees
Bloemberg hob die Augenbraue und neigte den Kopf zur Seite. Diese Aussage hatte
er nicht erwartet. Vaterliebe sah jedenfalls anders aus. Hadosh beugte sich
nach vorn, fuchtelte ihm, wild mit den Händen gestikulierend, vor dem Gesicht
herum und suchte nach den passenden Worten.
„Ich
meine … Er … dieser verdammte … Er hat zugelassen, dass … er … er … Arrrh …
Fragen Sie Bert van Helig, was für ein Früchtchen Namir war. Ein Kind von der
Straße, eine miese Filzlaus, die mir Van Helig und Van Houden aufgeschwatzt
haben … Ich will eigentlich gar nicht darüber reden. Nur so viel noch: Namir
hat alles kaputtgemacht.“ Beim letzten Satz erhob er sich und schlug mit beiden
Fäusten auf die Arbeitsplatte. Danach atmete er mehrmals tief durch und
versuchte sich zu beruhigen, es gelang nur bedingt.
„Die
von der Stadt haben mich seit Jahren auf dem Zettel. Ich solle meine Fabrik
dichtmachen. Ich würde den ganzen Wilhelmina-Pier mit meinem Lagerhaus
verschandeln. Es würde nach toten Tieren stinken. Ich wäre ein Scheißhaufen,
der die Touristen fernhält. Dabei waren wir es, die all die Jahre zu diesem
Stadtbezirk gestanden haben. Als alle anderen Firmen weiter in Richtung Nordsee
abgewandert sind und das alles hier zum Problemviertel wurde, bin ich
geblieben. Ich war immer da und jetzt wollen sie mich seit Jahren hier
weghaben, weil meine Fabrik nicht schön genug ist. Ich hab‘ das alles mit
meinen eigenen Händen aufgebaut und Namir, dieser Strolch, hat mit seinen
dubiosen Geschäften dafür gesorgt, dass mein Lebenswerk einzustürzen droht. Und
dann … dann …“
Er
ging in die Hocke, riss die Schranktür des Tisches auf und zog etwas daraus
hervor. Mühelos kam er wieder nach oben. Seine Wut ließ jeden Anflug von
Schwäche augenblicklich verrauchen.
„Und
dann“, wiederholte er zum dritten Mal, als er endlich wieder stand, „das hier!“
Mit Wucht warf er einen eingeschweißten Beutel mit weißem Pulver auf den Tisch.
Einige graue Haarsträhnen flogen ihm dabei ins Gesicht. Dumpf schlug das Wurfgeschoss
auf der Tischplatte auf.
Bloemberg
zuckte zurück, aber der Beutel blieb heil vor den Augen des Inspecteurs liegen.
„Was
ist das?“
„Wonach
sieht es denn aus, Inspecteur? Sie sind der Polizist. Sagen Sie es
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