Sonne, Schnee und Tote
Commissaris klar, dass die Aufgabe, die der Surveillant gerade für ihn
übernahm, nicht rechtens war, aber andererseits war der Grund, wegen dem Van
Houden sie hergeschickt hatte, ohnehin eine Farce. Das alles hier war nicht
zielführend, eine reine Strafarbeitsmaßnahme für Maartens Uneinsichtigkeit. Was
sie hier taten, war schlichtweg sinnfrei, das war jedem Beteiligten klar.
Genauso gut hätten sie sich einen Platz in einer der Kneipen am Hafen suchen
können.
Aber
je länger Fred darüber nachdachte, desto weniger Lust verspürte er, den
Surveillant zu erlösen.
Er
schüttelte den Kopf.
Nein. Der Hauptkommissar hat mir diese
Scheiße aufgetragen, jetzt sollte sie auch irgendwer erledigen.
Fred
entfernte sich langsam von Surveillant Rudjard, stellte sich wieder neben
Hadosh an die Lagerhauswand und stemmte die Hände zufrieden in die Hüften. Hier
war die Luft wieder einigermaßen klar.
„Richtig
schöne, dreckige Polizeiarbeit, finden Sie nicht?“
Hadosh
warf ihm einen bösen Blick zu.
***
„
… Karim A. ist tunesischer Abstammung, etwa 1,80 groß, hat gelocktes, schwarzes
Haar und braune Augen. Als der Mann zuletzt gesehen wurde, trug er einen
markanten Vollbart, Jeans, schwarze Arbeitsschuhe und einen schwarzen
Wollpullover. Letzter bekannter Aufenthaltsort ist der Wilhelmina-Pier in
Rotterdam. Die Polizei bittet vor allem Nachbarn und Bekannte des Mannes im
Stadtteil Feyenoord um sachdienliche Hinweise zu seinem derzeitigen
Aufenthaltsort. Die Beamten gehen jedem sachdienlichen Hinweis nach. Wenn Sie
etwas wissen, kontaktieren Sie das Polizeirevier Rotterdam-Noord unter
folgender Telefonnummer …“
Immerhin
das haben sie schnell hinbekommen. Endlich gerät die Sache ins Rollen, dachte Bloemberg. Er hatte genug
gehört, drehte an einem Knopf in der Mittelkonsole seines Autos, drückte eine
Kassette ins Kassettendeck und langte bei den ersten Noten von Queens
„Anotherone bites the dust“ nach der Sonnenbrille im Handschuhfach.
Die
Fahrt von Rotterdam in Richtung Süden zu den kleinen Binnenmeeren in Zeeland
gehörte für Kees zu den schönsten Strecken, die er mehr oder minder regelmäßig
zurücklegte, um Abstand von Beruf und Alltag zu gewinnen. Zwar hatte er in
seinen Jugendjahren in unmittelbarer Nähe zu den mit Beton zugepflasterten
Stränden am Rotterdamer Hafen das Segeln erlernt, später jedoch, als Bert van
Helig bereits in Richtung Veere gezogen und die hobbymäßige Leitung eines
kleinen Segel- und Winterhafens übernommen hatte, da hatte er die wahre
Schönheit des Segelns kennengelernt. Die Wochenenden, die er auf den
abgeschlossenen Gewässern und auch auf der offenen Nordsee verbracht hatte,
waren immer ein Erlebnis gewesen. Sie hatten ihm das erhabene Gefühl
vermittelt, er habe etwas im Leben erreicht. Etwas, das er sich als
Jugendlicher nie zu erträumen gewagt hatte, Freiheit und Luft zum Atmen. Das
Segeln war zu seinem ganz eigenen Zufluchtsort geworden.
Seit
dem letzten Mal, als er den Weg von Rotterdam nach Veere zurückgelegt hatte,
waren keine drei Monate vergangen. Ende März, bei frühlingshaften Temperaturen
und Sonne, war er mit Miriam zu seiner kleinen Segeljacht aufgebrochen. Ein
unvergessliches Wochenende, das ihre kurze Ehe nicht zu retten vermochte.
Kaum
zwei Jahre hatte ihre Verbindung gehalten. Zwei kurze Jahre, in denen Freud und
Leid oft zu nah beieinander und sie am Ende definitiv zu selten im selben Bett
gelegen hatten.
„Miriam“,
seufzte Kees unvermittelt. Sein Wagen rollte bei Tempo achtzig an der Ortschaft
Westenschouwen vorbei. Linker Hand kam die Oosterschelde in Sichtweite und
offenbarte, dass trotz des Werktages viele Segler die Gunst der Stunde
ergriffen hatten. Weiße Segeltücher glänzten in der Sonne.
„Miriam“,
flüsterte Kees erneut. Die Bilder, die ständig aus seinem Unterbewusstsein an
die Oberfläche drängten und auch jetzt wieder vor seinem inneren Auge
auftauchten, konnte er in diesem Augenblick nicht länger beiseiteschieben. Das
ebenmäßige Gesicht, die feine Nase, die in Miriams Kindheit, durch einen Sturz
vom Fahrrad, einen kaum erkennbaren Knacks davongetragen hatte, die welligen
braunen Haare. Er vermisste sie und ihre aufmerksamen grünbraunen Augen, obwohl
er sich ständig versuchte einzureden, dass sie einfach nicht füreinander
geschaffen gewesen waren und sich früher oder später vermutlich an die Gurgel
gesprungen wären .
Er
blinzelte, als er merkte, dass seine Augen feucht
Weitere Kostenlose Bücher