Sonne, Schnee und Tote
er und öffnete sie. Im Rahmen blieb er noch einmal stehen,
gerade war ihm ein Gedanke gekommen.
„Ich
würde gerne mehr über Namirs Vergangenheit erfahren. Vielleicht finden sich da
Hinweise, die nützlich sein könnten. Was ist zum Beispiel mit Imar, Namirs
großem Bruder?“
Van
Houden schaute Bloemberg undurchdringlich an. Nach längerem Zögern sagte er
nur: „Bert van Helig kann dir in diesem Fall sicher weiterhelfen. Ich habe in
dieser Geschichte lediglich den Vermittler gespielt. Imar können wir in außer Acht
lassen. Der Junge ist nie wieder aufgetaucht. Fraglich, ob er überhaupt noch in
den Niederlanden ist, wenn er denn noch lebt.“
Bloemberg
nickte. Er hatte ohnehin nicht damit gerechnet, dass Van Houden noch mehr
preisgeben würde. Mit gemischten Gefühlen schloss er die Tür und ging in sein
Büro.
Berts
Telefonnummer hatte er im Kopf. Der Mann, der ihn damals von der Straße geholt
und ihm eine neue Chance gegeben hatte, war seinem Telefonanschluss in all den
Jahren treu geblieben. Er hatte sogar zusätzliche Kosten in Kauf genommen, um
sie bei seinem Umzug nach Veere behalten zu dürfen.
Kees
wählte. Der Signalton ertönte mehrmals, bevor die Verbindung endlich stand.
„Ja“,
drang Berts Stimme aus dem Hörer.
„Hallo.
Ich bin's, Kees. Wir müssen reden.“
„Kees,
Junge. Grüß dich. Schön von dir zu hören. Mit deinem Anruf hätt‘ ich jetzt
nich‘ gerechnet. Was gibt’s? Alles im Lot? Nee Augenblick, du meldest dich doch
sonst nur, wenn du wieder in der Klemme steckst. Spaß beiseite. Schieß los.“
Obwohl
Bert van Helig der einzige Mensch auf der Welt war, dem Kees auch sehr private
Dinge anvertraute, schwieg er sich über seine Trennung mit Miriam aus und blieb
stattdessen bei der Sache. Es gab keinen unpassenderen Zeitpunkt, als jetzt, um
über seine privaten Baustellen zu sprechen. Seit Wochen verdrängte er das Thema
mehr oder weniger erfolgreich.
„Soweit“,
erklärte er seinen Gemütszustand knapp und kam direkt auf sein Anliegen zu
sprechen. „Ich muss dich einige Sachen fragen. Es geht um einen Jungen, der am
Samstag ermordet wurde. Ich weiß nicht, ob du davon gehört hast. In Rotterdam
war es nur eine Randnotiz in den Tageszeitungen.“
„Nee,
nix gehört, aber wieso musst du mir deswegen Fragen stellen? Bin seit ein paar
Jahren nicht mehr in der Stadt gewesen.“
„Der
Name des Jungen war Namir, Namir Hadosh. Klingelt es da bei dir?“
Am
anderen Ende der Leitung herrschte kurzzeitig ein Schweigen, das nur durch
Berts unregelmäßigen Atem durchbrochen wurde. Dann sagte der Mann, den Kees
trotz seiner teilweise verheerenden Schludrigkeit und der seltsam anmutenden,
unkonventionellen Art sehr schätzte:
„Namir?
Namir! Doch sicher, klar klingelt‘s da. Is‘ zwar was her, aber hat mit seinem
Bruder insgesamt zwei harte Jahre bei mir mitgemacht. Tot? Das is‘ echt
traurig, Kees. Hatte ‘n gutes Gefühl bei dem Jungen, damals.“
„Ja,
mir tut es auch leid. Ich hab den Fall übernommen und komme nicht richtig
voran. Bis gerade eben, dachte ich noch, Namir wäre Nasridim Hadoshs leiblicher
Sohn.“
„Nee,
das war er nie.“
„Pass
auf, Bert. Um es kurz zu machen: Ich brauch‘ mehr Informationen zu Namirs und
Imars Vergangenheit.“
„Un‘
da kommst du natürlich auf mich.“ Er zögerte und schob dann „Nu‘ ja, ich könnt‘
sicher einiges zu den beiden erzählen, aber nich‘ am Telefon“, hinterher.
Der
Satz irritierte Kees. Sonst hatte Bert auch nie Probleme damit, Dinge via
Telefon zu besprechen.
Gespräche
mit ihm uferten für gewöhnlich in stundenlange Berichte und Erzählungen aus,
was den Inspektor zu der unumgänglichen Frage trieb „Wieso das nicht?“
Er
bekam eine der typischen, flapsigen Van Helig Antworten.
„Hast
du mal aus ‘m Fenster geguckt?“, sagte Bert. „Is‘ ein schöner Tach. Wollt
gleich raus auf ’n großen Teich, bisschen segeln. Ich schlag vor, du komms‘ einfach
hierher, wir machen mein Boot fertig un‘ dann erzähl‘ ich dir, was du wissen
willst.“
Kees
winkte ab, obwohl Bert van Helig ihn nicht sehen konnte.
„Ich
bin im Dienst, Bert. Das geht nicht.“
„Ach
was. Du ermittelst doch oder? Wer schreibt dir vor, dass du das nur von deinem
Bürostuhl in Rotterdam darfst?“
„Ich
kann nicht einfach …“
„Junge,
du hast dich nie um Vorschriften gekümmert. Wo is‘ also das Problem? Ich sach
‘s dir: da gibt’s keins. Ich erwarte dich. Bis um zwölf müsstest du ‘s ja
eigentlich
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