Sonne über Wahi-Koura
nicht verkaufen! Entschlossen knüllte sie das Blatt zusammen und warf es in den Papierkorb.
An diesem Morgen wurde Helena nicht von dem fröhlichen Krähen des Babys geweckt. Alarmiert erhob sie sich und trat an die Wiege. Laura lag apathisch da und bewegte nur schwach die Hände. »Was hast du denn, mein Liebling?« Vorsichtig hob sie das Kind heraus. Lauras Körper glühte. Helena trug sie rasch zu ihrem Bett und betrachtete sie gründlich. Die Wangen waren knallrot. Auf der Brust zeigten sich rote Flecken. Um Gottes willen! »Sarah!«, schrie sie.
Wenig später steckte das Dienstmädchen den Kopf durch die Tür. »Madam?«
»Bitte Madame de Villiers, unverzüglich zu mir zu kommen. Schnell!«
Sarah nickte erschrocken und verschwand.
Wenig später erschien Louise. Besorgt musterte sie Laura.
»Wir sollten Doktor Fraser benachrichtigen«, sagte Helena.
Louise schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, nicht ihn. Er hat keine Ahnung von Kindern.«
»Wen können wir dann rufen?«
»Die tohunga.«
»Die Heilerin aus dem Maori-Dorf?«, rief Helena entsetzt aus.
»Immerhin hat sie Ihnen das Leben gerettet.«
»Aber eine Geburt ist etwas anderes als ein krankes Kind.«
»Ahorangi ist auch für die Kinder ihres Stammes zuständig. Glauben Sie mir, die Säuglingssterblichkeit dort ist wesentlich geringer als in Napier!«
Ein dunkler Schatten zog über Louises Gesicht. Für einen Moment verlor sich ihr Blick in der Ferne.
Helena fiel wieder ein, was Janice Norrington ihr über Louises Erstgeborenen erzählt hatte, und sie empfand einen jähen Schmerz. Mein Kind darf nicht sterben, dachte sie. Es ist sicher nichts Ernstes. »Gibt es denn keinen anderen Arzt in der Stadt?«
Louise schüttelte den Kopf und presste die gefalteten Hände so fest ineinander, dass die Knöchel weiß hervortraten.
»Also gut, versuchen wie es mit der Heilerin«, gab Helena schließlich nach. »Doch sollte sie ratlos sein, müssen wir unbedingt nach Doktor Fraser schicken.«
Nicht mal eine Viertelstunde später erschien Ahorangi. Um den Leib hatte sie ein rotes Tuch geschlungen. Kräuterduft erfüllte sogleich den Raum.
Lauras Zustand hatte sich nicht verändert. Sie war apathisch und weigerte sich zu trinken. Um ihren Körper ein wenig abzukühlen, hatte Helena die dicke Windel entfernt und sie nur mit einem leichten Tuch bedeckt.
Die Heilerin murmelte etwas in ihrer Muttersprache, als sie an die Wiege trat. Dann schlug sie das Tuch zurück. »Wann du gemerkt, dass Kind krank?«
»Heute Morgen, als ich es füttern wollte.«
Behutsam legte die Heilerin eine Hand auf das Kind.
»Kind ist von bösem Geist besessen, der macht, dass Blut zu heiß.«
Helena erschrak. War es vielleicht doch keine gute Idee, die Maori zu konsultieren? Wer glaubte schon an Geister? Oder ist das ihre Umschreibung für das Fieber?
»Ich werde singen karakia, das vertreiben Geist«, setzte die Heilerin hinzu, bevor sie einen kleinen Beutel aus dem roten Tuch zog. »Vorher du lassen bereiten rongoa. Doch aufpassen, Kind ist noch klein, es darf nicht viel davon haben.«
Helena nickte, als sie das Beutelchen annahm. Aber ihre Ruhe war nur Fassade. Am liebsten wäre sie persönlich zu Dr. Fraser geritten.
Auf dem Weg in die Küche begegnete sie Louise, die in der Eingangshalle unruhig auf und ab wanderte. Sie hielt ihre Schwiegertochter am Ärmel fest und fragte:
»Was ist mit dem Kind?«
»Die Heilerin meint, dass es von einem Geist besessen ist«, antwortete Helena erbost und machte sich los. »Glauben Sie immer noch, dass sie die beste Wahl ist?«
Louises Miene verhärtete sich. »Was will sie tun?«
»Ich soll ein paar Kräuter aufbrühen lassen. Und sie will singen!«
»So behandelt sie die Kinder ihres Stammes.«
»Aber mein Kind gehört nicht zu ihrem Stamm!«
Louise zuckte zusammen. Während ein Schatten über ihr Gesicht huschte, schwankte sie ein wenig. Doch sie bekam sich rasch wieder in den Griff. »Lassen Sie es die tohunga versuchen. Ich habe Didier bereits benachrichtigt, damit ich ihn so schnell wie möglich in die Stadt schicken kann.«
Ist das noch dieselbe Frau, die ihren Maori-Angestellten europäische Namen gibt? Hat sie vielleicht den Verstand verloren?
Helena hätte sie am liebsten geschüttelt und geschrien, dass das Leben ihres Kindes in Gefahr sei. Stattdessen wandte sie sich abrupt um und lief mit dem Kräuterbeutelchen in die Küche. Als sie mit dem stark riechenden Sud zurückkehrte, schlug ihr Weihrauchduft
Weitere Kostenlose Bücher