Sonne über Wahi-Koura
entgegen.
Louise saß in einer Ecke auf einem Hocker und verfolgte die Zeremonie der Heilerin. Ahorangi hob beschwörend die Hände über das Kind und sang mit geschlossenen Augen eine fremdartige Melodie, deren Worte Helena nicht verstand.
Es kostete Helena sehr viel Beherrschung, die Schüssel mit dem Sud kommentarlos auf die Kommode zu stellen und zurückzutreten. Laura war immer noch krebsrot und regte sich kaum noch. Helena verging beinahe vor Angst. Sie schlug die Hand vor den Mund und unterdrückte die Tränen.
Da spürte sie Louises kühle Hand beruhigend auf ihrem Handgelenk. Ihre Schwiegermutter wandte den Blick nicht von der tohunga. Helena hätte gern gefragt, was das solle, doch sie schwieg und betete im Stillen, dass sie nicht wertvolle Zeit verspielten, indem sie dieser Schamanin vertrauten.
Die ganze Nacht über wachte Helena neben der Wiege und ließ Laura nicht aus den Augen. Die Tränke und Gesänge der Heilerin hatten nicht viel ausgerichtet. Laura war noch immer matt und verweigerte die Nahrung. Ihr kleiner Körper glühte, und ihre halb geöffneten Augen glänzten fiebrig.
Vergeblich hatte Helena Louise gebeten, nach Dr. Fraser zu schicken. Ihre Schwiegermutter schien felsenfest davon überzeugt zu sein, dass die Heilerin mehr ausrichten würde als er.
Bitte, lieber Gott, bring sie rechtzeitig zur Vernunft!, betete Helena insgeheim, vollkommen erschöpft. Bitte nimm mir nicht auch noch mein Kind!
Schließlich zog sie das goldene Medaillon unter der Bluse hervor, klappte es auf und flehte: Laurent, wenn du im Himmel bist, dann sorg dafür, dass unsere Tochter nicht stirbt! Ich bitte dich von Herzen. Als sie das Porträt zärtlich küsste, begann die Heilerin wieder zu singen. Dabei hob sie die Hände in die Höhe, als wolle sie einen ihrer Götter anrufen. Die Melodie war aggressiv, und die Worte klangen, als würden sie geschleudert wie Dolche.
Laura zuckte zusammen und begann leise zu weinen.
Helena hob ihr Töchterchen aus der Wiege und barg es an der Schulter. »Ist ja schon gut, mein Liebes! Weine nicht!«, flüsterte sie.
Während die Heilerin mit ihrem Gesang fortfuhr, ließ sie Helena nicht aus den Augen. Ein eisiger Schauder überlief Helena, als sie sich wegdrehte, um das Gesicht der Frau nicht mehr sehen zu müssen.
Der Gesang dauerte eine Weile an und reizte Laura zusehends. Die Kleine quengelte und weinte. Ich sollte die Maori rauswerfen, dachte Helena zornig. Das alles ist doch bloß Theater. Aber sie wagte es nicht.
Als das karakia schließlich beendet war, ging eine Welle der Erleichterung durch Helenas Körper. Ihre Knie waren plötzlich weich wie Butter.
»Du Kind wieder hinlegen«, befahl die tohunga, während sie ein Tuch in den Kräutersud tauchte.
Helena gehorchte.
Die Heilerin tupfte behutsam mit dem Tuch über Lauras Gesicht.
Als Louise zusehen wollte, wies Ahorangi sie an, sich zu Bett zu begeben.
»Das ist Sache von Mutter, die mit Seele von Kind verbunden. Nur sie kann helfen, Geist zu besiegen.«
Unwillig zog sich Louise zurück.
Gegen Morgen fielen Helena schließlich die Augen zu.
»Du gehen zu Bett«, sagte die Heilerin, die sich mit dem Kauen von Kräutern wach hielt. »Muss stark sein für deine kleine tamahine.«
»Nein, ich muss wachen.«
»Du nicht wollen, dass Geist geht auf dich über, oder?«
Helena schüttelte den Kopf. Als sie in ihr Bett schlüpfte, begann die Heilerin wieder zu singen. Die beruhigende Melodie entführte Helena wenig später ins Land der Träume.
Wie lange sie geschlafen hatte, wusste Helena nicht, als Ahorangi sie weckte. Helles Licht erfüllte das Schlafzimmer. Der Kräuterduft hatte sich ein wenig abgeschwächt.
»Du kommen zu Kind«, sagte die Heilerin mit ernster Miene.
Helenas Herz stolperte vor Angst, als sie in die Höhe fuhr. »Was ist mit Laura? Ist es schlimmer geworden?«
»Du kommen und sehen.«
Am ganzen Leib zitternd, folgte Helena der Heilerin. Noch bevor sie Laura sehen konnte, hörte sie das Kind leise brabbeln.
Es verschlug Helena beinahe den Atem, als sie ihr Töchterchen sah: Laura lag mit offen Augen da. Der fiebrige Glanz war daraus verschwunden, und auch ihre Haut war nicht mehr ganz so rot.
»Gott sei Dank!« Schluchzend sank Helena auf die Knie.
»Dein Kind stark. Geist ist gegangen, bevor er konnte schaden.«
Helena antwortete nicht. Sie streichelte ihre Tochter zärtlich und weinte über das Glück, das ihr zuteilgeworden war.
»Du musst deinem Kind zu trinken geben«, riet die
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