Sonne über Wahi-Koura
Anhänger entgegen.
Die Heilerin erschrak. »Ist Huia tot?«
»Wer?«
»Die Mutter deines tane. Deines Mannes.«
»Louise?«
»Das ist der Name, den pakeha ihr geben. Bei uns heißt sie Huia.«
»Sie ist nicht tot. Aber sehr, sehr krank. Ich will, dass es aufhört.«
»Was soll aufhören?«
»Der Fluch. Alles, was mit diesem manaia zusammenhängt. Wenn euch jemand diesen Gegenstand geraubt hat, sollt ihr ihn zurückbekommen. Mir bedeutet er nichts.«
»Du glaubst, manaia hat Huia Unglück gebracht?« Die Heilerin sah sie verständnislos an.
»Ist es nicht so?« Helenas Schläfen pochten so wild, dass sie glaubte, ihr Kopf würde jeden Augenblick zerspringen.
»Du mit mir kommen, Mädchen«, sagte die Alte und streckte die Hand nach ihr aus. »Ich dir erzählen alles.«
»Huia ist Teil von uns«, begann die Heilerin, nachdem sie ein Stück durch den Busch gegangen waren. »Mutter ihrer Mutter war eine Maori. Tochter von ariki.«
»Ariki?«
»Ihr sagen König. König vom Stamm. Pakeha -Mann zu uns gekommen ist und gebeten hat um Hauora, Tochter von ariki. Ariki hat ihm gegeben seine Tochter zur Frau und hat dafür Vertrag bekommen: Stamm kann bleiben auf dem Land, solange Kinder von Hauora leben bei pakeha. Kind von Hauora war Huias Mutter.«
Dann war Louises Großmutter eine Maori? Helena erinnerte sich mit einem Mal, dass Louise ihr bei der ersten Begegnung exotisch erschienen war. Das Maori-Blut in ihren Adern! »Dann gehörte Laurent auch zu euch?«
»Genauso wie dein Kind. Du hast neue Hoffnung gebracht für unser Volk.«
Helena ließ sich auf eine mächtige Baumwurzel sinken. All das war zu viel für sie.
»Und was ist damit?«, fragte sie und streckte der Heilerin das Amulett erneut hin. Die tohunga nahm es auch diesmal nicht an. Will sie uns nicht von dem Fluch befreien?, fragte Helena sich.
»Der manaia hat Hauora gehört. Er ist weitergegangen zu ihrem Kind und weiter zu Huia. Danach zu Laurent, und jetzt er gehören deiner Tochter.«
»Dann liegt gar kein Fluch darauf?«
Die Heilerin schüttelte den Kopf. »Der manaia wird an die Kinder weitergegeben. Immer an das erste, das lebt. Dieser manaia trägt keinen Fluch. Ich ihn sonst nicht bei Huia gelassen. Sie sollte ihn ihrem Sohn geben, aber Laurent ist fortgegangen, ohne ihn mitzunehmen.«
Helena betrachtete die leuchtende Jade. Das Geschöpf wirkte noch immer bedrohlich.
»Er soll Glück bringen dem Kind und es beschützen, bis es eigene Kinder hat«, fuhr die Heilerin fort.
Helena kam sich plötzlich sehr dumm vor. Aber zugleich spürte sie eine unendliche Erleichterung.
»Nun du mir erzählen von Huia. Welche Krankheit hat sie? Ich vielleicht kann mit rongoa helfen.«
Wie soll ich ihr nur ein Aneurysma erklären?, fragte sich Helena verzweifelt.
»Ihr Herz ist schwach«, antwortete sie kurzerhand. »Sie hat nur noch wenig Zeit, sagt der Arzt. Aber ich möchte nicht, dass sie stirbt.«
»Huia ist manchmal wild und zornig. So sie war schon immer. Ihr Herz sich selbst auffressen.«
»Kann man nichts dagegen tun?«
»Ich dir gebe Medizin, die machen stark. Aber Götter lassen nicht mit sich handeln. Wenn Zeit für Huia gekommen, dann sie muss reisen ins Reich der Ahnen.«
Das klang wenig hoffnungsvoll. Helena nahm ihre Umgebung plötzlich nur noch verschwommen durch einen Tränenschleier wahr.
Warum haben wir unsere gemeinsame Zeit nur so vertan? Habe ich noch Zeit, ihr zu sagen, dass ich dankbar bin für alles, was sie für mich und Laura getan hat?
Diese Fragen ließen sie nicht mehr los.
Die Heilerin verschwand in ihrer Hütte, während Helena auf dem Dorfplatz wartete. Sie trocknete sich die Tränen. Unter den neugierigen Blicken der Frauen fühlte sie sich unwohl. Erst als eine Horde Kinder an ihr vorbeirannte, schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. Unter den Jungen und Mädchen erkannte sie auch die Kleine, die im Weinberg mit den Steinen gespielt hatte. Ihre Blicke trafen sich kurz, dann verschwand das Mädchen hinter einer Hütte.
»Hier, nimm rongoa.« Die Heilerin hielt Helena einen bunt gemusterten Beutel entgegen, dem ein starker aromatischer Duft entströmte. »Huia muss trinken dreimal am Tag Tee davon. Nur dann nicht, wenn Sonne schlafen geht.«
Helena nahm ihn mit einem dankbaren Lächeln entgegen und erinnerte sich an Sarahs Rat, ihrer Dankbarkeit durch ein Geschenk Ausdruck zu verleihen. Jetzt hat die tohunga mir schon zum dritten Mal geholfen, dachte sie mit schlechtem Gewissen. Ich muss ihr unbedingt
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