Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
Der Arm ist zum größten Teil gefroren, denke ich. Das kommt schon in Ordnung. Man wird mich auf dem Schiff verarzten.«
»Sag mir, dass wir das hier überleben werden.«
»Es sieht viel schlimmer aus, als es in Wirklichkeit ist.«
»Wie kann es denn noch schlimmer werden?«
»Loc? Loc! Schau mich an. Gut so. Du musst Ruhe bewahren«, sagte Hauptmann Neves. Ihr Gesicht war nur Zentimeter von seinem entfernt, getrennt durch die Sichtscheiben der Helme. Sie befahl ihm, tief einzuatmen, die Luft anzuhalten und wieder auszuatmen. »Und noch einmal. Genau so.«
Minutenlang taten sie nichts anderes als gemeinsam zu atmen.
»Das wird schon wieder«, sagte Hauptmann Neves.
»Ich weiß, dass wir in Schwierigkeiten stecken, denn du hast mich noch nie zuvor bei meinem Vornamen genannt«, sagte Loc. Es sollte ein Scherz sein, doch es klang irgendwie nicht danach.
»Die Geister haben das Habitat und unser Schiff angegriffen und einen Schwarm Drohnen losgeschickt. Deshalb ist das Schiff gestartet. Es hat die Leine gekappt, und sie ist zurückgeschnalzt. Ich habe es kommen sehen. Habe versucht, uns zu befreien …«
»Es ist nicht deine Schuld«, sagte Loc.
»Wir müssen ruhig und wachsam bleiben. Das Schiff wird zurückkommen. Wegen uns. Wegen der Soldaten.«
»Wir könnten versuchen, das Habitat zu erreichen. Das, was davon übrig ist. Die Soldaten können uns helfen.«
Die Vorstellung, in einem Raum zu sein, selbst wenn es dort keine Luft gab, war unglaublich verlockend. Alles war besser als dieses endlose Treiben in der Leere des Alls.
»Das Habitat wurde schwer beschädigt«, sagte Hauptmann Neves. »Eine Drohne ist direkt im Innern explodiert. Vielleicht haben die Soldaten überlebt, vielleicht aber auch nicht. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sie auf keinem Kanal zu hören sind … Aber wir sind sowieso zu weit weg. Und wir bewegen uns zu schnell. Rühr dich bloß nicht. Bleib ganz ruhig. Atme langsam ein und aus. Wir stehen das zusammen durch. Das verspreche ich dir.«
»Stirb nicht«, sagte Loc. »Bitte stirb nicht.«
»Ich geb mir Mühe.«
Die Sterne drehten sich um sie. Der leuchtende Stern der Sonne durchquerte den schwarzen Himmel alle paar Minuten von links nach rechts. Hauptmann Neves sagte, dass sie das Schiff nicht finden könne, meinte aber zu Loc, dass das nichts zu bedeuten habe. Es war getarnt, und ihr Anzugradar hatte nur eine geringe Reichweite. Das Schiff der Freien Außenweltler war ebenfalls nirgends zu sehen, aber Hauptmann Neves entdeckte den kleinen Mond Neso und sagte, dass sich die Außenweltler womöglich dort versteckt hielten.
»Wenn die Geister ihn nicht ebenfalls angegriffen haben«, sagte Loc.
»Wenn ich sie wäre, würde ich mich ruhig verhalten, bis ich mich sicher auf den Heimweg machen könnte«, sagte Hauptmann Neves. »Aber bevor ich das tun würde, würde ich die Umgebung absuchen und nach Überlebenden Ausschau halten. Sobald wir also vom Radar erfasst werden, schalten wir unsere Notfunksender ein und rufen auf allen Kanälen um Hilfe. Okay?«
»Und wenn es nun der Radar der Geister ist?«
»Das ist ein Risiko, das wir eingehen müssen.«
Ihre Stimme klang immer angestrengter, aber sie wirkte äußerst ruhig, als wäre alles nur eine Übung. Loc schaute in ihr Gesicht, in ihre dunkelbraunen Augen. Die hinter der Sichtscheibe ihres Helms gefangen waren. Unerreichbar. Er redete über das, was sie tun würden, wenn sie wieder auf der Erde wären, bis sie ihm sagte, er solle ruhig sein und Atemluft sparen. Sie klammerten sich aneinander, und er sah, wie sich ihre Augen schlossen. Er bat sie, wach zu bleiben. Dann sagte er sich, dass sie nur schlief.
Er sprach weiter mit ihr. Sein Mund war trocken, und er sog Wasser aus dem Helmsauger, doch es stillte seinen Durst nicht, und schließlich hörte er auf damit, besorgt, dass ihm das Wasser vor der Luft ausgehen würde. Er versuchte, das Funkgerät zu benutzen, doch niemand antwortete. Er hielt Hauptmann Neves im Arm, während die starren Sternbilder sie langsam umkreisten. Er wusste, dass er sterben würde, und es kümmerte ihn nicht besonders. Er konnte jederzeit den Atemfilter seines Lebenspacks ausschalten. Dann würde er ohnmächtig werden, wenn das Kohlendioxid eine kritische Menge überschritt, und nicht mehr aufwachen. Es wäre nicht so schlimm.
Loc konnte das Habitat nicht mehr sehen. Die Sonne war der hellste Stern von allen, gefolgt von Neptuns kleinem blauem Halbmond. Sie glitten zu seiner Linken an
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