Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
eingewilligt hatten, uns mit den Diplomaten Großbrasiliens und der europäischen Union zu treffen, hat Sada mir gesagt, dass wir die richtige Entscheidung getroffen hätten. Damit meinte sie nicht, dass es das Beste für uns sei oder dass die Entscheidung moralisch richtig sei. Sie meinte, dass sie gut in ihren großen Plan passte. Die Geister tun, was sie für notwendig halten, um die Geschichte in die richtige Richtung zu lenken. Es hat also keinen Sinn, sich
mit ihnen zu streiten oder wütend auf sie zu sein. Außerdem hätten sie uns umbringen können, wenn sie gewollt hätten. Aber das haben sie nicht getan. Sie sind zwar verrückt, aber keine bösen Menschen.«
»Böse genug.«
»Was hast du zu Hannah gesagt?«
»Als sie gefragt hat, ob wir sterben würden?«
»Ja.«
»Ich habe ihr gesagt, dass wir dich finden würden.«
»Und das habt ihr ja auch.«
»Ja, das haben wir.«
»Wir haben überlebt.«
»Ja.«
»Und wir machen weiter.«
»Unbedingt.«
Die Menschen an Bord der Flüchtlingsschiffe waren erschöpft und benommen. Als Newt und Idriss Barr ein mögliches Ziel vorschlugen, wurde ihr Vorschlag beinahe sofort ohne großes Gerede angenommen. Sie konnten nicht zum Uranussystem zurückkehren, weil sie befürchteten, dass es von brasilianischen Drohnen bewacht wurde, und weil sich bereits erwiesen hatte, dass es als Versteck nichts taugte. Aber obwohl ihre Moral auf einen neuen Tiefpunkt gesunken war, waren sie noch nicht bereit, zu Saturn oder Jupiter zurückzukehren und sich der DMB zu ergeben. Deshalb stieg die kleine, bunt gemischte Flotte über die Ekliptikebene auf und flog auf die Nephele zu, einem der Himmelskörper, die als Kentauren bezeichnet wurden und die sich auf einer unregelmäßigen Bahn zwischen Jupiter und Uranus befanden.
Manche Kentauren waren Planetoiden, andere bestanden lediglich aus dem Kern verbrauchter oder halbaktiver Kometen. Allesamt waren sie nach einer Begegnung mit
einem Zwergplanet aus dem Kuipergürtel herausgeschleudert worden. Nephele war einer der größten Kentauren, ein eiförmiger Brocken Wassereis, dessen große Halbachse etwas über zweihundert Kilometer maß. Ihre dunkelrote Oberfläche war reich an Tholinen, Olivinen, Methanoleis und rußigem Kohlenstoff. Sie wanderte mit einer Umlaufzeit von etwas über einundneunzig Jahren um die Sonne. Ihr Aphel lag innerhalb der Saturnbahn, und ihr Perihel berührte die Umlaufbahn des Uranus. Gegenwärtig hatte sie gerade ihr Perihel hinter sich gelassen. Sie bewegte sich auf die Sonne zu und war etwa 1,9 Milliarden Kilometer vom Saturn entfernt, was ungefähr der neunfachen Entfernung zwischen Erde und Sonne entsprach.
Achtundfünfzig Tage nachdem die Freien Außenweltler das Neptunsystem verlassen hatten, schwenkten sie in einen Orbit um die Nephele ein und machten sich sofort an die Arbeit. Sie waren froh, sich mit praktischen Dingen beschäftigen zu können. Sie bauten ihren verletzten Stolz damit wieder auf, dass sie sich in einfache Fragestellungen der angewandten Wissenschaft und der Technik vertieften. Aus altem Eis und Teer gewannen sie nützliche Materialien und bestellten das Land.
Ihre Mannschaft Bauroboter hatten sie zurücklassen müssen, aber sie hatten die modifizierten Einheiten dabei, die die temporäre Habitatsblase geschaffen hatten, wo die gescheiterten Verhandlungen stattgefunden hatten. Sie errichteten ein Abbau – und Verarbeitungssystem, das das organische Material aufbereitete, von dem die Oberfläche der Nephele überzogen war, schmolzen und reinigten das Wassereis und benutzten diese Materialien, um ein neues Habitat von etwa zweihundert Metern Durchmesser zu schaffen. Den Mittelpunkt des Habitats bildete eine wassergefüllte Blase, und oberhalb und unterhalb der Hauptstreben in seinem
Innern wurden Plattformen angebracht, die die Hydrokulturfarmen und Wohnflächen beherbergten.
Ihre Träume, die menschlichen Grenzen auszuloten und Städte auf den Monden von Uranus und Neptun zu errichten oder sich in den Kuipergürtel auszubreiten, hatten die Freien Außenweltler aufgegeben. Sie hatten sie mit allem anderen zurückgelassen, als die Geister sie aus ihrer neuen Heimat auf Proteus vertrieben hatten. Dennoch, als Nepheles winziger neuer Mond mit seinen Lichtleisten, grünen Gärten und dem Wasserkern fertig war, war er von einer zerbrechlichen, wunderbaren Schönheit. Ein tränenförmiges Juwel, das inmitten der kleinen Flotte von Schiffen hing, die um den dunklen, missgestalteten Kentaur
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