Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
intellektuellen Vergnügens, das man durch Versenkung in das Spiel gewinnen konnte. Seine Kindheit und seine Ausbildung hatten unter streng utilitaristischen Vorzeichen gestanden, und die Lektoren hatten jede Form des Vergnügens strikt verurteilt.
Felice und Amy Ma Coulibaly unterhielten sich während des Spiels über die Geschehnisse des Gefängnisalltags – die
Rivalitäten, Intrigen und romantischen Verbindungen unter den Gefangenen und Vertrauensleuten, über Edz Jealotts Exzesse und die möglichen Auswirkungen der neuesten Änderungen an den Regeln und Vorschriften, die die Gefängnisverwaltung herausgab. Die meiste Zeit redete Amy. Sie tratschte gerne und hatte eine feste Meinung über alles und jeden im Gefängnis, die sie lautstark zum Ausdruck brachte. Sie gehörte zur Pioniergeneration der Außenweltler, war hundertfünfzig Jahre alt und stammte ursprünglich aus einer reichen Familie in Neuseeland. Dorthin waren viele der Reichen und Mächtigen auf der Erde gezogen, um den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels, der Hungerrevolten, des Energiemangels und Terrorismus und des allgemeinen Zusammenbruchs der Zivilisation am Ende des 21. Jahrhunderts zu entgehen. Aber selbst Zufluchten wie Neuseeland waren zunehmend instabil geworden, und als Amy fünf Jahre alt gewesen war, hatte ihre Familie beschlossen, Anteile an einer Siedlung namens Athena zu kaufen, die nahe dem Archimedes-Krater im Nordwestquadranten des Mondes gebaut wurde. Ein Jahr nachdem sie die Erde verlassen hatten, löste das plötzliche Freiwerden von Millionen Tonnen Methangas aus Clathratfeldern in der Antarktis eine chaotische und umfassende Klimakatastrophe aus – den sogenannten Umsturz. Mehrere Milliarden Menschen fanden dadurch den Tod, und die globale Politik wurde dauerhaft und auf radikale Weise verändert. Zwanzig Jahre später richteten die mächtigen und kriminellen Familien, die in den meisten Ländern der Erde die Herrschaft übernommen hatten, ihre Aufmerksamkeit auf den Mond. Dessen Bewohner flohen jedoch, bevor die irdischen Mächte die Stadt Athena annektieren konnten, wie sie es angedroht hatten. Die Mondbewohner besaßen damals bereits umfassende Kenntnisse über den Bau von Habitaten
und ließen sich auf dem Mars und dem zweitgrößten Mond des Jupiters, Kallisto, nieder. Von dort aus begannen sie mit der Kolonisierung der anderen Monde von Jupiter und Saturn. Und dann griff die Erde den Mars an.
Felice Gottschalk glaubte, einen Teil dieser Geschichte zu kennen: Die Kolonisten auf dem Mars hatten einen teuflischen Plan entworfen: Sie wollten einen Asteroiden auf Kollisionskurs mit der Erde bringen. Dieser Plan wurde vereitelt, und Helden aus der Chinesischen Demokratischen Republik opferten ihr Leben, um die Siedlungen auf dem Mars mit Wasserstoffbomben zu zerstören und einen Kometen umzulenken und ihn in kleine Stücke zu zerbrechen, die dann rund um den Äquator des Mars niedergingen und sämtliche Marsianer töteten. Das war die Version der Geschichte, die ihm während seiner merkwürdigen Kindheit erzählt worden war. Amy Ma Coulibaly zufolge hatten jedoch die Chinesen als Erste angegriffen, nachdem sich die Marsianer geweigert hatten, ihre Unabhängigkeit aufzugeben – ein hinterhältiger Angriff, der die Siedlungen im Ares Valles und dem Hellas Planitia zerstört hatte. Einige wenige überlebende Marsianer hatten versucht, diese Gräueltat zu rächen, indem sie die Bahn eines Trojaners umlenkten, damit er die Bahn der Erde kreuzte, doch ihr Plan war gescheitert, und die Chinesen hatten mit Hilfe des Kometeneinschlags alle Überlebenden ihres heimlichen Angriffs ausgelöscht. Amy sagte, dass die Chinesen möglicherweise noch weitergeflogen wären und die im Entstehen begriffenen Kolonien in den Systemen von Jupiter und Saturn zerstört hätten, wenn sie bei dem Einsatz nicht mehr als die Hälfte ihrer kleinen Flotte verloren hätten. Stattdessen kamen beide Seiten angesichts der entsetzlichen Ausmaße des Völkermords auf dem Mars wieder zur Vernunft und schlossen rasch einen Friedensvertrag. Amy war bei der Unterzeichnungszeremonie
dabei gewesen, die in den Ruinen der zerstörten Stadt ihrer Kindheit, Athena, stattgefunden hatte. Es war ein ernster und wichtiger Moment der Menschheitsgeschichte gewesen, aus dem jedoch offenbar keine weiterreichenden Schlüsse gezogen worden waren. Der Friede zwischen der Erde und dem Außensystem hatte zwar hundert Jahre gehalten, aber nur, weil die wichtigsten politischen
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