Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
herausgab. Die Gefangenen stellten synthetische Lebensmittel und Hefekulturen her, ernteten die Kunststoffe und biochemischen Stoffe, die von den Vakuumorganismen erzeugt wurden, und verarbeiteten sie, um sie gegen frische Nahrungsmittel und andere Luxusgüter einzutauschen. In ihrer Freizeit konnten sie dagegen tun und lassen, was sie wollten.
Felice lebte mit den anderen Vertrauensleuten von der Rhea in einem zweistöckigen Wohngebäude mit Flachdach in Trusty Town, einem von zehn identischen weißen Würfeln, die unter einer sekundären Kuppel am Rand des Gefängniszelts zwischen dünnen jungen Bäumen auf dem Rasen verstreut waren. Der offizielle Anführer von Trusty Town war ein energischer junger Psychopath namens Edz Jealott. Er hatte sich genmanipulieren lassen und sich übergroße Muskelpakete zugelegt, die beinahe wie eine Karikatur wirkten, und verbrachte einen Großteil seiner freien Zeit mit sportlichen Übungen, um Spannkraft und Definition seiner gewaltigen Arme und Beine, seiner breiten Schultern und des glänzenden Schildes seiner Brust aufrechtzuerhalten. Er stolzierte gerne leicht bekleidet oder nackt umher, begleitet von einer Schar Handlanger und weiblicher Bewunderer.
Er befand sich in psychologischer Behandlung, seit er mit vierzehn seine jüngere Schwester erstochen hatte. Nun herrschte er unter stillschweigender Duldung der Gefängnisverwaltung mit tyrannischer und brutaler Autorität über die Vertrauensleute.
Kurz nachdem Felice aus der Gefängnisklinik entlassen worden war, lauerten zwei von Edz Jealotts Handlangern ihm auf – eine Art Aufnahmeritual, das alle Vertrauensleute über sich ergehen lassen mussten. Felice brach dem einen Mann den Arm und schlug den anderen bewusstlos. Danach wurde er größtenteils in Ruhe gelassen, und er gab sich alle Mühe, Edz Jealotts Herrschaft zu ignorieren.
Die Vertrauensleute hatten Zugang zu sämtlichen Bereichen des Gefängniszeltes. Sie joggten rund um das Zelt oder unternahmen Wanderungen auf den Steilhängen und Geröllfeldern des Kraterrands. Felice entdeckte, dass er ein Talent für Freistilklettern besaß, und legte im Alleingang mehrere neue Routen an. Sein Lieblingsplatz befand sich am Kamm des westlichen Kraterrands in der Nähe der Zelteinfassung, von wo aus man eine schöne Sicht über die Felder mit Vakuumorganismen zu den salzweißen Baracken der Gefangenen und der bläulichen Kuppel von Trusty Town hatte, die sich darüber in einer Vertiefung der Kraterwand befand. Gruppen von Gefangenen, so klein wie Insekten, arbeiteten hier und dort auf den Feldern, und die schwarzen Flecken der Überwachungsdrohnen hingen über ihnen in der Luft. Seine gesamte Welt. Die einzige Welt, die ihm im Moment verblieben war. Und vielleicht die letzte, die er je haben würde.
Obwohl er regelmäßig Sport trieb und hohe Dosen von Steroiden nahm, plagte ihn eine gewisse Steifheit der Gelenke. Außerdem litt er manchmal unter einem Taubheitsgefühl in Fingern und Zehen, und seine Bewegungen waren
häufig ungeschickt. Er ließ Dinge fallen oder stieß etwas um. Die Medizintechnikerin, Amy Ma Coulibaly, versicherte ihm, dass sich sein Zustand weitaus langsamer verschlechterte, als sie erwartet hatte, und er versuchte, das Beste daraus zu machen. Aber das Wissen war stets unterschwellig vorhanden, selbst wenn er einen unbeschwerten Augenblick genoss. Wie der Schatten eines Steins unter der Oberfläche eines von der Sonne beschienenen Sees.
Während seiner langen Genesungszeit nach dem Trauma der Wiederbelebung aus dem Kälteschlaf hatte Amy Ma Coulibaly Felice die Grundlagen des Schachspiels beigebracht. Er besuchte sie drei – oder viermal pro Woche in der Klinik, um ein wenig zu spielen. Meistens verlor er – die alte Frau war eine leidenschaftliche und geschickte Taktikerin. Sie machte ihre Züge rasch und bestimmt, veränderte mit einer Bewegung ihres Zeigefingers die Position einer Schachfigur auf dem virtuellen Brett und lehnte sich zurück, während Felice über seine Antwort nachgrübelte. Er war fasziniert davon, wie eine Reihe einfacher Eröffnungszüge innerhalb kürzester Zeit ein komplexes Netz von Möglichkeiten schaffen konnte, wie sich die Linien der Macht im Laufe des Spiels auf sonderbare und unerwartete Weise verändern konnten. Das Ganze glich dermaßen der strategischen Kriegsplanung, dass er sich fragte, warum man ihm und seinen Brüdern während der Ausbildung nicht das Schachspiel beigebracht hatte. Vielleicht wegen des immensen
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