Sonnenfall - McAuley, P: Sonnenfall - The Gardens of Sun
darauf, mich zu verschlingen.«
Newt betrachtete sie so ernst wie ein Arzt, der gleich eine unangenehme Diagnose stellen musste. Ihr blasser Geliebter mit den seltsam langgezogenen Gliedmaßen. Dem spitzen Gesicht und den schönen blauen Augen. Dem zerzausten schwarzen Haarschopf. »Du hast Heimweh«, sagte er schließlich.
Macy musste lachen, weil er es einfach nicht begriff. Sie hatten darüber schon öfter gesprochen. Aber Newt war in einer Zivilisation aufgewachsen, in der der Glaube vorherrschte, alles sei erklärbar und es gebe für jedes Problem eine Lösung. Deshalb war er immer der Meinung gewesen, es handele sich nur um eine vorübergehende Panik, ein Symptom von etwas anderem, etwas, an dem sie arbeiten konnten. Macy hatte auch mit anderen Außenweltlern darüber geredet und versucht, es ihnen zu erklären. Selbst wenn sie auf Miranda eine schöne Landschaft entdeckte – wie damals, als sie auf einen herabgestürzten Eisblock geklettert war und von oben mehrere, in das Gelände geschnittene Terrassen gesehen hatte, die mehr als zehn Kilometer zu einer Ebene hinabführten, die flach und glatt war wie ein gefrorenes Meer und sich bis zum Horizont erstreckte, wo Uranus am schwarzen Himmel hing, so dick und blau wie die Erde –, selbst wenn sie in den Anblick von etwas so Wundervollem und Schönem versunken war, reichte das Klicken eines Ventils oder eine Veränderung im Rauschen des Lüftungssystems im Innern ihres Helmes aus, sie wieder in die Wirklichkeit zurückzuholen und daran zu erinnern, dass sie in weniger als einer Minute sterben würde, wenn sie ihren Druckanzug nicht anhätte. Wobei nicht klar war, ob sie zuerst ersticken oder erfrieren würde. Sie wusste natürlich, dass ihr Druckanzug und all die anderen Mechanismen und Systeme, die sie am Leben erhielten, erprobt, verlässlich und mehr oder weniger narrensicher waren. Aber es ging nicht darum, ihnen zu vertrauen, sondern darum, dass sie vollkommen von ihnen abhängig war. Es hatte etwas mit ihrem Hirn zu tun, sagte einer ihrer Freunde. Ein Anpassungsproblem, behauptete ein anderer. Sie hatten ihr Lösungen vorgeschlagen: neuronale Programmierung, maßgeschneiderte Psychopharmaka und so weiter.
Nichts davon hatte funktioniert. Die Psychopharmaka hatten sie in einen angenehm benebelten Zustand versetzt, wie nach dem zweiten Bier am Ende einer harten Schicht an einem heißen Tag, aber sie wollte nicht ständig benebelt sein.
Keiner unter den Außenweltlern hatte tatsächlich nachempfinden können, wie Macy sich fühlte, nicht einmal Newt. Und jetzt gab sie nach, wie sie es sonst auch immer tat. Es hatte keinen Sinn, sich weiter zu streiten. Deshalb sagte sie ja, sie litte ein wenig unter Heimweh.
»Ich vermisse das Habitat auf Dione auch manchmal«, sagte Newt.
»Ich auch. So wie alle hier.«
»Ja«, sagte Newt nach kurzer Pause.
»Es tut mir leid«, sagte Macy zerknirscht. Newt erwähnte seine Mutter und seine anderen Verwandten und Freunde nicht allzu oft, aber sie wusste, dass ihn der Verlust immer noch schmerzte. Er hatte sich stets die größte Mühe gegeben, aus dem Schatten seiner Mutter herauszutreten. Und das lag zu einem großen Teil daran, dass sie einander so ähnlich waren.
Er zuckte die Achseln und schenkte ihr sein schiefes Lächeln. »Wenn wir auf Dione geblieben wären, wären wir auch ins Gefängnis gesteckt worden. Dadurch hätte sich nichts geändert.«
»Trotzdem.«
»Stattdessen sind wir hier rausgeflogen, um uns ein neues Zuhause zu schaffen. An das wir uns zusammen gewöhnen können.«
»Das ist ein netter Gedanke.«
»Wir werden es schon schaffen«, sagte Newt. »Es wird eine Weile dauern, bis wir einen Ort gefunden haben, an dem wir wirklich frei sein können, aber wir werden es schaffen.
Schließlich sind wir sehr langlebig. Alles ist möglich. Vielleicht kannst du sogar irgendwann zur Erde zurückkehren.«
»Da werden wir aber wirklich sehr lange leben müssen, bis das möglich sein wird«, sagte Macy.
Alle anderen fanden die Reise wunderbar aufregend. Zweiundvierzig Tage lang genossen die Außenweltler die wahre, ungebundene Freiheit, während ihre Schiffe sich zwischen beiden Welten befanden, und als sie schließlich in eine Umlaufbahn um den Pluto einschwenkten, empfanden sie das beinahe als antiklimaktisch.
Pluto ist etwa halb so groß wie der Erdmond und doppelt so groß wie sein größter Mond, Charon. Pluto und Charon bilden ein echtes Binärsystem. Sie drehen sich um ein gemeinsames Zentrum und
Weitere Kostenlose Bücher