Sonnenfeuer
Sie auch nicht«, entgegnete Herbert. »Wir können uns ja ein bißchen in die Büsche schlagen.«
»Und wohin gehen wir?«
»Das überlasse ich Ihnen. Angeblich wurde noch im Umkreis von dreißig Kilometern Gold gefunden. Also machen Sie jetzt nicht schlapp.«
»Zuerst muß ich aber Ying suchen«, beharrte Lew.
Vorbei an den von Menschenhand geschaffenen Kratern, die bis auf ein paar klägliche Bäume kahl waren wie eine Mondlandschaft, führten sie ihre Pferde um eine Biegung nach der anderen. Lew fragte jeden Chinesen, auf den sie stießen, nach seinem Freund. Schließlich schickte man sie zu einer Schürfstelle am Shamrock Gully, die als »Die Goldene Sonne« eingetragen worden war.
Yings Kulis, die mit fieberhaftem Eifer am Flußufer arbeiteten, begrüßten Lew wie einen Verwandten, den sie lange nicht mehr gesehen hatten. Sofort war er von den hageren Männern umringt, und alle redeten gleichzeitig auf ihn ein.
»Herr Chin ist nicht da. Herr Chin ist nach Charters Towers geritten. Er hat drei Schürfstellen, die guten Gewinn abwerfen.«
»Wann kommt er zurück?«
»Unser Herr berichtet uns nicht von seinen Absichten.«
Nein, natürlich nicht. Lew schickte einen der Kulis mit einem Brief nach Charters Towers, in dem er noch einmal die schlechten Nachrichten von der Dschunke wiederholte. Außerdem teilte er Ying mit, daß er ihn auf den Goldfeldern am Cape erwarte.
Sie steckten sich ihre Schürfstelle am Unterlauf des Bracken Creek ab und ließen sie auf Herberts Wunsch als »Waterloo« eintragen. Dann machten sie sich unverzüglich an die Arbeit. Yings Kulis hatten ihnen die Stelle empfohlen, weil der Fluß noch immer Wasser führte. Außerdem zeigten sie Lew, wie man mit der Pfanne umging, wie man goldhaltiges Gestein erkannte und wie man beim Graben dem Verlauf einer Goldader folgte. Schon bald mußten sie einen Flaschenzug und Förderkörbe bauen, mit denen sie den Abraum am Ufer abluden. Sie schürften und wuschen unermüdlich und fanden tatsächlich Gold. Ihre Suche wurde immer fiebriger. Bei Morgengrauen begannen sie mit der Arbeit, und obwohl Kleider, Haare und Bart bald von gelbem Lehm verkrustet waren, war Lew zufrieden wie nie zuvor in seinem Leben.
Eigentlich hatte er erwartet, er würde sofort Gold finden, einen Freudensprung machen und als reicher Mann die Heimreise antreten. Statt dessen ging es recht langsam voran. Zudem entwickelte sich die Goldsuche zu einer schleichenden Sucht, einer Sucht, die die Leidenschaft für Alkohol oder Glücksspiel weit in den Schatten stellte. Auf diesem wildgewordenen Rummelplatz konnte man gutes Geld verdienen, und auf keinen Fall würde man aufbrechen, solange noch etwas zu holen war. Während sich ihre Ledersäckchen allmählich füllten, wurde auch Herbert von der Begeisterung angesteckt und schlug vor, einen neuen Claim am weiteren Verlauf des Bracken Creek abzustecken. Lew war gleich Feuer und Flamme. Zwar hatten sie im Gegensatz zu anderen noch keine reiche Ader entdeckt, doch auch so verdienten sie durchschnittlich fünfzehn Pfund am Tag, was angesichts ihrer augenblicklichen angespannten Finanzlage ein Vermögen darstellte.
Ihr Zelt hatten sie neben dem Planwagen eines Farmers aus New South Wales namens Jim Bourke aufgeschlagen. Dieser Mann hatte auch seine Frau Marjorie und seine Tochter Marie mitgebracht. Die beiden Frauen, die tagaus tagein nur in Männerhemden, Drillichhosen und Baumwollhauben als Schutz vor der Sonne herumliefen, ertrugen die harten Lebensumstände ohne Murren und arbeiteten ebenso schwer wie die Männer. Jim bot Lew und Herbert an, sie könnten sich doch als gute Nachbarn die Mahlzeiten teilen, die die Frauen zubereiteten. Und so saßen sie jeden Abend bei Eintopf und Fladenbrot und mit Sirup begossenem Kuchen am Lagerfeuer der Familie.
Nachts wirkten die unzähligen Laternen wie eine irdische Verlängerung des Sternenhimmels. Glücklicherweise war ihr Lagerplatz von den Schenken mit den gröhlenden Trunkenbolden weit genug entfernt, so daß sie nicht gestört wurden. Sie suchten auch keine Gesellschaft, denn nach ihrer mühseligen Plackerei vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung waren sie froh, wenn sie dem schmerzenden Körper einige Stunden Ruhe gönnen konnten.
Eines Tages stand Chin Ying vor ihrem Zelt. Er trug ein dunkles Hemd und wattierte weite Hosen und statt seiner eleganten bestickten Kappen einen breitkrempigen Strohhut.
Lew starrte ihn ungläubig an. »Ich hätte dich ohne deinen Kopfputz kaum erkannt«,
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