Sonnenfeuer
während man darauf wartete, daß das Wasser im Teekessel kochte, wurden ausgelassene Lieder angestimmt. Die Melodien kannte Lew schon von den britischen Seeleuten, doch die Texte waren ihm neu. In ihnen kam ein Widerstandsgeist zum Ausdruck wie in den trotzigen irischen Balladen, der Lew mitriß und dem er sich nicht entziehen konnte. Er merkte, daß ihn die ersten Regungen von Patriotismus ausgerechnet an diesem wilden, rauhen Ort am Ende der Welt überkamen.
»Die Kerle sind schwer in Ordnung«, bemerkte er zu Herbert. Doch der schnaubte nur verächtlich durch die Nase.
»Jetzt vielleicht noch. Aber warten Sie erst mal ab, bis der Kampf ums Gold losgeht. Ich habe gesehen, wie sie vor einer dieser dreckigen Tavernen am Kap einen Mann zu Tode getrampelt haben. Und niemand hat auch nur mit der Wimper gezuckt.«
»Und weshalb?«
»Das habe ich lieber nicht gefragt.«
In dieser vom Zufall zusammengewürfelten Gruppe rief man sich lediglich beim Spitznamen. Lew war der Käpt’n, und Herbert hieß bald nur noch »Hans im Glück«, was ihn nicht besonders freute. Außerdem gab es noch einen »Lulatsch«, eine »Spitzmaus«, den »Apotheker«, den »Bankier« und den »Farmer.«
Alleinreisende Männer wurden allgemein bedauert. Eine Expedition wie diese ohne einen Freund antreten zu müssen, galt als tragisches Schicksal. Eine ganze Anzahl der Schürfer hatte bereits Erfahrung, und von ihnen erfuhr Lew, daß man auf sich selbst gestellt nur wenig Aussichten auf Erfolg hatte. Man brauchte jemanden, der bei der Arbeit half und die Schürfstelle bewachte. Möglicherweise hatte Herbert das ja bereits am eigenen Leibe erfahren und wollte Lew nun für seine eigenen Zwecke ausnutzen.
»Wir müssen uns nur eine Lizenz besorgen«, erklärte Herbert, »und dann unseren Claim abstecken. Wenn ein Mann seine Schürfstelle länger als vierundzwanzig Stunden verläßt, ist sein Recht verfallen.«
»Ich suche Ying«, wandte Lew ein. »Ich habe nie gesagt, daß ich Gold schürfen will.«
»Aber das werden Sie«, entgegnete Herbert lachend. »Das Goldfieber hat Sie doch schon längst gepackt. Wie sind Sie überhaupt Kapitän geworden? In meinen Augen sind Sie alles andere als ein Seemann.«
»In der englischen Marine hätte ich keine Aufstiegsmöglichkeiten gehabt, und deshalb bin ich bei Meridian und Company in Kanton unter Vertrag gegangen. Aber ich spreche mehrere verschiedene chinesische Dialekte und wurde dann auch gelegentlich als Dolmetscher eingesetzt. Dabei habe ich Offiziere kennengelernt, die mir ein wenig auf die Sprünge halfen. In der Handelsschifffahrt kann man es als Seemann weit bringen.«
»Mir hat nie jemand auf die Sprünge geholfen«, murrte Herbert und fischte sich ein Zigarillo aus Lews Paket.
»Pech«, sagte Lew ungerührt. »Trotzdem will ich Ihnen einen Rat geben. Lassen Sie hier draußen die Finger von den Karten. Ich habe Sie auf dem Schiff beobachtet, und Sie sind ein lausiger Falschspieler. Wenn Sie das auf den Goldfeldern versuchen, dann rühre ich keinen Finger, wenn man Ihnen den Schädel einschlägt.«
Obwohl Lew es nicht gern zugeben wollte, erwies Herbert sich auf den Goldfeldern doch als recht nützlich. Bei ihrer Ankunft traute er seinen Augen nicht, als er das Durcheinander, den Lärm und die geschäftige Betriebsamkeit bemerkte, die überall herrschten. Zwischen kleinen Barackensiedlungen, die mitten im Busch aus dem Boden gestampft worden waren, breiteten sich fächerförmig die Schürfstellen aus. In jedem Bachlauf, an jedem Flußufer und in jedem Rinnsal wurde gewühlt und gegraben. Kilometerweit kehrte ein Goldsucher neben dem anderen das Unterste zuoberst, und die Erdhaufen, die sich um ihre Schürfstellen ansammelten, verliehen der Landschaft das Aussehen, als sei eine Horde Landarbeiter mit ihren Pflügen darüber hergefallen. Ein jeder kauerte gebückt vor seinem Arbeitsplatz, Pfannen schepperten, Zeltbahnen flatterten im Wind, Männer schrien und mühten sich, Pferde schnaubten unter der Last ihrer mit Geröll beladenen Schlitten, und es wimmelte von fliegenden Händlern. Chinesen mit wehenden Zöpfen unter ihren Strohhüten liefen geschäftig umher, Kulis schwitzten unter den Seilwinden, Frauen mit geschürzten Röcken stemmten Körbe. Wo man auch hinsah, nur Schweiß und Plackerei. Über allem hing der stechende Geruch menschlicher Exkremente, und die Luft war schwarz von Fliegen.
»Ach du meine Güte!«, sagte Lew zu Herbert. »Hier kann ich nicht bleiben.«
»Das müssen
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