Sonnenfeuer
der kein Aborigine war, die Dinge beim Namen nannte. Dieses Land gehörte einem Stamm, und wenn nicht den Irukandji, dann einem anderen. Mr. Chin erkannte das an. Im Gegensatz zu den anderen hatte er begriffen, daß dies das Land der Aborigines war. Er wollte lediglich das für die Eingeborenen ohnehin wertlose Gold holen und sie ansonsten in Frieden lassen. Für die anderen Goldgräber hatte Diamond nur Verachtung übrig. Mitleid und Erbarmen kannten sie nicht; und sie würden ihren Weg zum Palmer notfalls auch mit Leichen pflastern.
Das fahle Licht des aufgehenden Mondes ließ die weißen Zelte vor dem dunklen Hintergrund der Berge aufleuchten; Diamond erschienen sie in dieser heißen, schwülen Nacht wie Fremdkörper am Rande des Urwalds. Im Lager herrschte jetzt Ruhe, denn die Männer waren müde. Sie arbeiteten hart, fällten Bäume, hackten und sägten Holz und schleppten Frachtgut von den Schiffen. Weiße, denen die Hitze zu schaffen macht, dachte Diamond. Sie lauschte auf die Geräusche des Urwalds, das Quieken kleiner Tiere, den gelegentlichen Warnschrei aufgeschreckter Vögel, das Quaken der Frösche. Als ein paar betrunkene Goldgräber vorüberwankten, hielt Diamond sich ganz still und griff nach ihrem Messer. Doch die Männer bemerkten sie nicht. In der Ferne hörte sie das Tosen der Meeresbrandung, das ihr jetzt jedoch näher erschien und irgendwie anders vorkam, eher wie ein langes, fortwährendes Rauschen. Sie lauschte auf dieses Geräusch, das in der Stille der Nacht deutlich zu vernehmen war. Das war der Wasserfall, der große Wasserfall bei den beiden Schwester-Felsen, ganz ohne Zweifel!
Leise schlich sie in das Zelt, das ihr Mr. Chin zur Verfügung gestellt hatte. Nicht einmal hier gab es für sie einen Platz unter den Weißen, nicht bei den Frauen und schon gar nicht bei den Männern. Doch das kümmerte sie jetzt nicht mehr. Sie leerte ihre Leinentasche aus und ging damit zum Vorratszelt, wo sie beinahe mit Yuang Fu zusammengestoßen wäre, der sein Gewehr auf sie gerichtet hatte.
»Ich bin’s nur«, rief sie und wich erschrocken zurück. Der Diener sah so grimmig aus wie ein asiatischer Ringkämpfer.
»Ich brauche Proviant«, erklärte sie. Zu ihrer Erleichterung senkte er die Waffe, blieb jedoch vor dem Zelteingang stehen. »Bitte sagen Sie Mr. Chin, daß ich fortgegangen bin, um mein Volk zu suchen. Sie müssen ihn deshalb nicht aufwecken. Sagen Sie es ihm morgen früh, er wird es verstehen. Hören Sie mir eigentlich zu, Mr. Yuang?« fragte sie den ausdruckslos dreinblickenden Chinesen.
»Ja, Miss.«
»Kann ich also etwas zu essen mitnehmen?«
Er trat beiseite und reichte ihr eine brennende Laterne. »Was wollen Sie denn haben, Miss?«
»Tja, ich weiß auch nicht …« Unschlüssig blieb sie in dem großen Zelt vor den hoch aufgetürmten Kisten und Packen stehen, doch schließlich nahm sie sich etwas Pökelfleisch, Äpfel und Orangen, einen Laib Brot und ein paar Keksdosen. Das würde genügen. Daß sie wie zu einem Picknick aufbrach, mochte leichtsinnig erscheinen, doch Diamond wußte, welche Gefahren ihr drohten.
»Sagen Sie Mr. Chin, daß ich zurückkomme, sobald ich kann«, meinte sie, bevor sie sich abwandte, dann fügte sie noch hinzu: »Wenn ich nicht zurückkomme, würden Sie ihm in meinem Namen für alles danken, was er für mich getan hat?«
»Ja, Miss.«
Allerdings erfuhr Chin Ying von ihrem Fortgehen, noch ehe Diamond im Busch verschwand, der die Siedlung von der Außenwelt abschnitt. Nachdem seine Diener ihn so leise geweckt hatten, daß der daneben schlafende Lew Cavour nicht wach geworden war, trat der Chinese vor das Zelt und blickte zu den unheilverkündenden Feuern hinauf, die in der Finsternis wie tiefstehende Sterne funkelten. »Du hast richtig gehandelt«, sagte er zu Yuang Fu. »Es ist ihre Bestimmung. Niemand kann sagen, was am Ende dabei herauskommt.«
Als Lew am Morgen feststellte, daß Diamond verschwunden war, geriet er außer sich. Im ganzen Lager suchte er nach ihr. In der Annahme, es hätte sie vielleicht jemand verschleppt, rüttelte er mehrere mürrische Matrosen und verärgerte Goldgräber aus dem Schlaf. Doch letztlich mußte er einsehen, daß sie aus freien Stücken in den Busch gegangen war.
Er war verzweifelt. »Sie werden sie umbringen. Wenn ich wüßte, welche Richtung sie eingeschlagen hat, würde ich ihr nachgehen, aber wo soll ich denn in diesem schrecklichen Urwald nach ihr suchen?«
»Vielleicht ist es gut so«, versuchte Marie
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