Sonnenfeuer
von hier aus zu den Goldfeldern Australiens. Allerdings hatte er sich von der Dschunke täuschen lassen. Die meisten Goldsucher benutzten nämlich schnellere Schiffe. Cheongs Berater waren klug; eine Dschunke, die gemächlich durch südliche Gewässer kreuzte, würde nicht sonderlich auffallen, nicht einmal ein Schiff von dieser Größe, denn es gab einfach zu viele davon im Südchinesischen Meer. Erst wenn sie Sumatra hinter sich gelassen hatten und das englische Hoheitsgebiet vor der Küste von Queensland erreichten, würden ihre Absichten klarer werden.
Was Lew an dieser Reise am meisten freute, war das Ziel. Zum ersten Mal in seinem Leben würde er ein englischsprachiges Land besuchen. Zwar sprachen auch in den asiatischen Hafenstädten viele Leute Englisch, aber in Australien würde er kein Fremder sein, der allein schon durch seine Körpergröße auffiel.
In all den Jahren, die er sich als Seemann hochgedient hatte, war er so versessen darauf gewesen, einmal nach England zu fahren, daß er gar nicht mehr an die englischen Kolonien südlich des Äquators gedacht hatte. Aber das war verständlich. Bis zum Ausbruch des Goldrausches hatte niemand genau gewußt, wo sie eigentlich lagen; sie waren nichts weiter als Sträflingskolonien, die man besser mied. Doch wie Lew erst kürzlich in Erfahrung gebracht hatte, waren die Sträflingsdeportationen mittlerweile fast eingestellt worden, die Straflager hatte man geschlossen, und einige Kolonien auf diesem Inselkontinent waren inzwischen wirtschaftlich unabhängig und standen gar nicht so schlecht da. Die großen Goldfunde trugen natürlich das ihre dazu bei, und so würden die Kolonien bald keine weißen Flecken auf der Landkarte mehr sein. Die Hauptkolonie, hatte Lew sich sagen lassen, war New South Wales, doch er hatte Anweisung, nach Queensland, einem neu gegründeten Staat, zu segeln, der weiter nördlich und von daher auch näher am asiatischen Festland lag.
»Mr. Chin, willkommen an Bord«, sagte Lew und verbeugte sich höflich, aber unbeeindruckt, vor diesem jungen geschniegelten Lackaffen, der von zwei Dienern begleitet wurde. Es war zwar ein kalter Tag, aber dieser Bursche mit seinem pelzbesetzten wattierten Mantel aus blauer Seide, unter dem er ein dunkelrotes Gewand mit roten und goldenen Stickereien trug, sah aus, als wolle er zum Nordpol reisen. Sogar sein runder Hut war mit Pelz besetzt.
Chin machte eine kleine, graziöse Verbeugung und erwiderte auf Englisch:
»Guten Morgen, Kapitän. Führen Sie mich zu meinem Quartier.«
Die Diener eilten ihm nach und traten zurück, während Mr. Chin seine Kabine begutachtete. »Ja, das ist in Ordnung. Ich möchte mich jetzt ausruhen.«
»Wie Sie wollen«, sagte Lew und ging zurück an Deck, um das restliche Gefolge, nämlich die fünfzig Kulis, die diesem Herrn unterstanden, in Augenschein zu nehmen. Schließlich drehte ein ganzer Schwarm von Sampans an der Dschunke bei, und Lew sah zu seinem Erstaunen, wie die Kulis schwere Kisten und Truhen, die alle sorgsam beschriftet waren, auf das Deck hievten. In den Kisten befand sich die Goldgräberausrüstung, und Lew ließ sie in den Frachtraum transportieren. Einer der Diener teilte ihm jedoch mit, die letzten zweiundzwanzig Truhen seien Mr. Chins persönliches Gepäck und müßten deshalb in seine Kabine.
»Sie haben gar nicht alle Platz in seiner Kabine«, entgegnete Lew. »Verstaut sie unten.«
Mr. Chin stand am Eingang zu den Privaträumen. »Bringt sie hierher«, befahl er.
»Ich habe gerade erklärt, daß in Ihrer Kabine nicht genug Platz ist«, wandte Lew ein.
»Das sehe ich selbst, aber im mittleren Abteil ist genug Platz.«
»Dieser Bereich dient uns als Wohn- und Eßraum, Mr. Chin. Wir können ihn nicht mit Kisten und Truhen vollstellen.«
Chin sah ihn herablassend an. »Diese Entscheidung müssen Sie schon mir überlassen.«
Lew richtete sich zu voller Größe auf. »Ich bin Kapitän dieses Schiffs, und ich treffe die Entscheidungen, nicht Sie.«
»Ich glaube, Sie haben nicht begriffen, Sir. Ich bin der persönliche Repräsentant des Fürsten Cheong, dem dieses Schiff gehört. Sie sind nur angestellt, um damit nach Bowen zu fahren.«
»Der soll mir mal den Buckel runterrutschen!« schimpfte Lew auf englisch. Ob sein Passagier das verstanden hatte oder nicht, war ihm ziemlich gleichgültig. Dieser Fatzke wußte schon, was er meinte. »Was ist denn in den Kisten?«
»Der Inhalt ist persönlicher Natur«, erwiderte Chin, doch Lew beachtete ihn
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