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Sonnenfeuer

Sonnenfeuer

Titel: Sonnenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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Notwendige einzukaufen. Aber den Kapitän ging das trotzdem nichts an. Ying seufzte erleichtert auf, als er das Ächzen und Knarren des Holzes hörte und die sanften Wellenbewegungen spürte; die Dschunke setzte sich in Bewegung. Der verhaßte Kapitän streckte seinen Kopf zur Tür herein. Er sah zufrieden aus; die heftige Auseinandersetzung von vorhin schien er vergessen zu haben. »Wir haben abgelegt, Mr. Chin. Beten Sie, daß wir einen günstigen Wind haben und die Piraten die Pocken kriegen.«
    Yings Herz schien für ein oder zwei Schläge auszusetzen. Piraten! Niemand hatte ihm etwas von Piraten gesagt! Er hatte von ihren furchtbaren Greueltaten gehört, aber sie waren für ihn nicht wirklicher gewesen als die lang vergangenen Schrecken des Kublai Khan. Hunderttausende Chinesen hatten sich lieber ertränkt, als den Mongolen lebend in die Hände zu fallen. Vielleicht sollte er jetzt über Bord springen, dann wäre alles ausgestanden. Ach, aber seine Familie …
    Cavour war nur knapp über dreißig, nicht viel älter als er. Konnte dieser junge Mann sie auf diesem großen, schwerfälligen Schiff sicher zur anderen Hemisphäre bringen? Ying hatte im Hafen von Macao wunderbare Schiffe gesehen – schnittige Schiffe mit Segeln wie Vogelflügel, riesige, unerschütterliche Linienschiffe, englische und portugiesische Schlachtschiffe –, doch er saß hier auf diesem altertümlichen Kahn mit Segeln, die wie geöffnete Schmetterlingskokons aussahen. Da fiel ihm etwas ein, was ihn tröstete: Als Kind hatte er oft versucht, Schmetterlingskokons aufzureißen, und hatte feststellen müssen, daß die Hülle zäh wie Leder war. Vielleicht wußte Cheong doch, was er tat.
    Er rief nach mehr Wein. Er würde auf dieser Reise für sich bleiben, schweigen, sich vom Kapitän fernhalten und nur mit ihm sprechen, wenn es nötig war. Der Kerl würde schon begreifen, daß er im Rang eines Untergebenen stand, auch wenn er ein Schiff lenken konnte.
    Bedauerlicherweise brauchte sein Magen eine Weile, ehe er sich an das ständige Auf und Ab des Schiffes gewöhnt hatte. Die erste Woche mußte er in einem unwürdigen Zustand in seiner Kabine verbringen. Yuang Lu und Yuang Pan kümmerten sich zwar um ihn und versuchten, das Leiden ihres Herrn mit verschiedenen Kräutertränken zu kurieren, doch keiner davon linderte die Krämpfe in seinen Eingeweiden.
    Schließlich besuchte ihn der Kapitän. »Mr. Chin, entschuldigen Sie die Störung, aber ich empfehle Ihnen die frische Luft an Deck. Wir haben heute einen schönen Tag und eine kräftige Brise.«
    »Ich fürchte, das geht nicht, Sir«, stöhnte Ying. »Ich fühle mich äußerst unwohl.«
    »Dagegen hilft nur Seeluft«, erwiderte Cavour. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen.« Noch ehe Ying widersprechen konnte, hatte ihn der Kapitän schon aus dem Bett gehoben und brachte ihn mit schwankenden Schritten zum Unterdeck. Ying war erleichtert, als er sich in einer sonnigen, windgeschützten Ecke auf ein behelfsmäßiges Bett aus Segeltuch legen konnte.
    »Sie müssen den Kopf hochhalten«, riet der Kapitän, als Yings Diener dicke Kissen und einen Teppich brachten.
    Bald ließ die quälende Übelkeit etwas nach, er fühlte sich ein wenig wohler und imstande, den Brechreiz zu unterdrücken; allmählich glaubte er wieder daran, daß er vielleicht doch überleben würde. Jeden Tag nahm er nun seinen Platz an Deck ein und stellte mit Erstaunen fest, daß er sich auf diese Stunden im Freien freute. Er kam langsam wieder zu Kräften, konnte an Deck auf und ab gehen, ja sogar unter dem Sonnendach sitzen, wo er las, der Mannschaft bei der Arbeit zusah und die Schönheit des Meeres betrachtete. Er fing auch an, den Kapitän zu beobachten. Dem Mann fehlte es an Vornehmheit, er trug verwaschene Kleider und sogar Zehensandalen, wie sie sonst nur Kulis hatten. Das schwarze Haar war nicht zurechtgemacht und wahrscheinlich kaum jemals gekämmt worden, dachte Ying verächtlich und betrachtete die unordentlichen Lokken, die sich in unterschiedlicher Länge in Cavours Nakken kräuselten. Doch er mußte zugeben, daß ihn dieser große Engländer beeindruckte. Er strahlte nicht nur Autorität aus, wie man es von einem Kapitän erwartete, sondern schien auch ein rechtschaffener Mann zu sein, auch wenn er sich manchmal ungehobelt benahm. Seine kalten blauen Augen blickten herausfordernd, als fürchte er sich vor nichts und niemandem auf der Welt. Cavour hat eine Art von Macht, überlegte Ying, die aus Selbstvertrauen und

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