Sonnenfeuer
geht darin um das Leben deiner Eltern und ihre großartigen Leistungen für die Kirche in China.«
»Vielen Dank«, sagte Lew, als er die chinesische Schriftrolle entgegennahm und den Inhalt überflog. Zumindest war sie in Englisch geschrieben.
»Na, du stehst ja nun auf eigenen Füßen«, meinte der Bischof lächelnd und reichte ihm die Hand. »Aber vergiß die Kirche nicht, mein Lieber. Ihre Türen stehen dir immer offen. Ich werde für dich beten.«
Als Lew auf dem Weg vom Bischofssitz eine Brücke überquerte, warf er die Schriftrolle in den träge dahinplätschernden Fluß. Am Hafen von Macao drängte er sich durch das lebhafte Getümmel an den Piers und suchte nach der Dschunke, die dem Fürsten Cheong gehörte, einem reichen Feudalherrn aus dem Hinterland von Hunan. Man mußte äußerst vorsichtig sein, wenn man es mit dieser Sorte Halsabschneider zu tun hatte. Man bekam sie nie selbst zu Gesicht, sondern verhandelte nach chinesischer Sitte nur mit ihren Vertretern, höflichen, ständig grinsenden Geschäftsleuten aus Macao, die einem ohne Zögern die Kehle durchschneiden würden.
Er hatte versprochen, sich den Vorschlag durch den Kopf gehen zu lassen, aber er würde nur zu seinen Bedingungen annehmen. Erst einmal mußte er die Dschunke sehen. Daß Cheongs Schiff ein Juwel sei, wie man ihm versichert hatte, bedeutete überhaupt nichts; sollte sich sein Schiff als zu groß geratenes Hausboot entpuppen, war es zu spät, wenn er erst einmal den Vertrag unterschrieben hatte. Zweitens würde er sich strikt weigern, Schmuggelware oder Frauen, die für ein Bordell bestimmt waren, oder Sträflinge zu fahren. Sein Kapitänspatent war zu wichtig, um es wegen eines Auftrags aufs Spiel zu setzen.
Der Mittelsmann, der zuerst auf ihn zugetreten war, hieß Lien; inzwischen ließ er sich als »Mister« anreden und war stolz auf die Englischkenntnisse, die er sich in Joseph Cavours Unterricht angeeignet hatte.
»Seien Sie nicht so mißtrauisch, Lew. Ich selbst habe Sie empfohlen, und meine Vorgesetzten sind überaus erfreut, daß Sie annehmen wollen. Enttäuschen Sie mich nicht. Fürst Cheong ist ein sehr mächtiger Mann, und er wird Sie gut bezahlen.«
»Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, Mr. Lien, und ich weiß Ihr Vertrauen zu schätzen, aber ich muß noch mehr wissen, ehe ich annehme.«
»Ich darf Ihnen versichern, daß es sich um eine rechtlich einwandfreie und völlig ehrenwerte Aufgabe handelt.«
»Warum sagen Sie es mir dann nicht, wohin ich fahren soll?«
»Weil nicht einmal ich in dieses Geheimnis eingeweiht bin.«
»Und da wundern Sie sich über mein Mißtrauen.«
Er entdeckte Mr. Lien am vereinbarten Treffpunkt. Die stinkende Ware eines Fischverkäufers neben ihm schien ihn ebensowenig zu kümmern wie das geschäftige Treiben um ihn herum. »Ich kann Cheongs Schiff nicht finden«, sagte Lew. »Offenbar hat kein Mensch je davon gehört.«
»Folgen Sie mir«, erwiderte Mr. Lien und schlüpfte behende durch die Menschenmenge, wobei sein dünner Zopf unter dem Mandarinhut hin und her baumelte. Der größere und kräftigere Lew hingegen mußte immer wieder einem Hindernis ausweichen, um mit ihm Schritt halten zu können.
Sie stiegen in einen Sampan, eines dieser chinesischen Hausboote, und wurden in den Hafen hinausgebracht.
»Da ist es.« Mr. Lien deutete auf ein Schiff, und Lew war überrascht.
»Das da?«
»Ganz recht.«
»Herr im Himmel!« Es war ein riesiger Dreimaster. Lew pochte gegen das Holz, als sie an der Längsseite vorbeifuhren. Zweifellos in gutem Zustand. Diese Dschunken hatten ein äußerst solides Spant und konnten praktisch nicht sinken, da sich unter Deck wasserdichte Kammern befanden. Lew wußte, daß viele Konstrukteure heutzutage versuchten, die Sicherheitsvorkehrungen der alten Dschunken nachzubauen, allerdings mit wenig Erfolg.
Bewaffnete Männer bewachten das Schiff, und das mit gutem Grund, denn ein solches Schiff war ziemlich wertvoll. Die Wächter traten beiseite und verbeugten sich, als Mr. Lien und Lew an Bord kamen.
»Das ist Kapitän Cavour«, verkündete Mr. Lien, und die Mannschaft klatschte zum Zeichen ihrer Ehrerbietung. »Das hier«, Mr. Lien deutete auf einen stämmigen chinesischen Matrosen mit dem abgezehrten Gesicht eines Mannes, der sich zu oft in Hafenspelunken herumtrieb, »ist Ihr Erster Maat, Hong.« Der Mann starrte Lew mit kaltem, stählernen Blick an, und Lew erkannte, daß die Mannschaft einen englischen Kapitän als Zumutung empfand. Er
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