Sonnenfeuer
erretten.« Die in einem dreckigen chinesischen Dorf an Typhus gestorben ist, ergänzte Lew bei sich, und einen zehnjährigen Sohn und einen Mann zurückließ, der für seinen Herrn, den Bischof, und die Kirche wie ein Kuli schuftete.
»Und für die Seele von Joseph Cavour, der in Armut lebte wie unser Herr Jesus Christus und der seine Heimat England verließ, um sich unserer Mission anzuschließen.« Seine Stimme hob sich. »Joseph Cavour hat einen Platz an Deiner Seite verdient, o Herr. Blicke gnädig herab auf Deinen Diener, der von den Feinden Jesu niedergestreckt wurde.«
Der bei einem der blutigen Chinesenaufstände am Stadtrand von Xiangtan umgebracht wurde, nur weil er zufällig gerade dort war. Und wenn du es »niederstrecken« nennst, daß sie ihn mit ihren Schwertern in Stücke gehauen haben, dann bist du noch verrückter als sie, dachte Lew.
Diener brachten Tee und stellten ihn auf einem lackierten Tischchen ab. Lew hatte das Haus des Bischofs immer für einen Palast gehalten; es war so großartig im Vergleich zu dem steinernen Bauernhaus, in dem die Cavours gelebt hatten, als sie ihre kleine Gemeinde bekehrter Chinesen betreuten. Doch jetzt sah er das Haus des Bischofs nüchterner: ein gewöhnliches zweistöckiges Gebäude mit dem hier üblichen nach oben geschwungenen Dach und zweckmäßiger Einrichtung. Es war enttäuschend. Schon seit Jahren verabscheute Lew den Bischof und alles, was er darstellte. Er hatte ihn verachtet, weil er in Saus und Braus lebte, während seine Eltern sich bei den Bauern abrackerten und um jede Seele rangen. Sie hatten ihr Leben damit vergeudet, gegen eine Flut anzuschwimmen, Menschen für ihren Glauben zu gewinnen, die längst ihre eigenen Götter hatten. Wenn auch einige, aus Neugier oder einer Laune heraus, das Christentum angenommen hatten – die winzige Insel versank nach Josephs Tod in den Fluten, er war vergessen, die Mission hinweggespült.
»Bist du nach Xiangtan zurückgekehrt, Lewis?«
»Ja, Sir. Ich habe sein Grab gefunden. Freunde haben ihn da begraben, wo früher die Kirche war.«
»War?«
Mit Genugtuung nahm Lewis zur Kenntnis, wie sehr den Bischof diese Nachricht verblüffte. »Aber ja, sie haben die Kirche bis zu den Grundmauern niedergebrannt. Und das Bauernhaus auch.«
Er wußte, die Angreifer hatten es nicht persönlich gemeint; sie hatten das ganze Dorf niedergebrannt, aber daß die Kirche abgebrannt war, würde dem Bischof nahegehen.
»Blasphemie! Gott wird sie strafen. Nach all der harten Arbeit deines lieben Vaters!«
Lew nickte.
»Wir dachten, du würdest die Mission einmal übernehmen, Lewis«, fuhr der Bischof fort. »Dein Vater hatte immer gehofft, du würdest in seine Fußstapfen treten, sozusagen sein Werk fortsetzen. Schließlich bist du in China aufgewachsen, sprichst die Sprache fließend und dazu, soviel ich weiß, noch ein paar Dialekte. Du hast einen großen Vorteil gegenüber den Leuten, die aus der alten Heimat kommen. Ich für meinen Teil war ziemlich enttäuscht, als ich hörte, daß du zur See gegangen bist.«
Mich zur See geflüchtet habe, meinst du wohl. »Ich habe inzwischen mein Kapitänspatent«, sagte Lew. »Und in Macao wartet ein Schiff auf mich.« Er verschwieg, daß es sich nicht etwa um einen schnellen Klipper handelte, sondern um eine chinesische Dschunke; es hatte ihn schon zu viele Jahre gekostet, es wenigstens so weit zu bringen.
»Sehr löblich, Lewis. Kapitän eines eigenen Schiffs, beachtlich. Und geht die Reise nach England?«
England. Lew war noch nie in England gewesen. Er kannte jeden Hafen in Fernost, wie dieser Teil der Welt in Europa genannt wurde, doch sein Heimatland hatte er noch nie gesehen. Dem Bischof und Leuten seines Schlages hatte er es zu verdanken, daß er sein Leben lang heimatlos gewesen war. Ihretwegen hatte er keine englische Erziehung genossen, war seines Geburtsrechts beraubt worden. Doch wenn seine Eltern in einem gelegentlichen Anfall von Heimweh von England sprachen, hatten sie auch in ihm die Sehnsucht nach jenem grünen, freundlichen und friedlichen Lande geweckt.
»Nein«, antwortete er. Man hatte ihm das Ziel seiner Reise zwar noch nicht genannt, aber die Fahrt würde mit ziemlicher Sicherheit nicht nach England gehen. Die Vorstellung, in einer Dschunke die Themse hinaufzufahren, kam ihm reichlich komisch vor.
»Ich möchte dir das hier geben«, sagte der Bischof. »Es ist die Ansprache, die ich bei einem Gedenkgottesdienst für deinen lieben Vater gehalten habe. Es
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