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Sonnenfeuer

Sonnenfeuer

Titel: Sonnenfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Shaw
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Das Gesicht zu verlieren ist für einen Chinesen das Allerschlimmste.«
    Sie sahen Ying reglos auf einem niedrigen Zaun neben dem steinernen Mondtor sitzen, das die Chinesen als Glücksbringer für ihr Lager gebaut hatten. Der Mantel lag neben ihm auf dem Boden, und er trug jetzt ein langes, bis zum Hals zugeknöpftes Gewand.
    »Gräßliche Leute«, schnaubte er wütend. »Ich muß diesen Mantel wohl verbrennen.«
    »Natürlich«, meinte Lew.
    »Ich bedauere diesen Zwischenfall sehr«, sagte Jack. »Ich bin ein Einwohner von Bowen, und für Raufbolde haben wir hier eigentlich nichts übrig.«
    Als Lew ihn mit Jack bekannt machte, stand Ying auf und verbeugte sich tief. »Ich nehme Ihre Entschuldigung wohlwollend an, Sir«, antwortete er feierlich.
    »Was hast du nun vor?« erkundigte sich Lew.
    »Meine Diener bereiten mein Zeltlager vor. Ich werde in dieser Stadt nur so lange bleiben, bis wir uns mit Proviant ausgerüstet und einen Führer gefunden haben. Dann begebe ich mich ins Landesinnere.«
    »Soll ich dir jetzt bei irgend etwas behilflich sein?« fragte Lew.
    »Nein. Ich werde mich heute abend mit dem Studium der Metallurgie befassen. Das ist unumgänglich.«
    Lew begleitete Jack in die Stadt zurück. »Es war gut, daß Sie sich entschuldigt haben«, meinte Lew. »Er weiß zwar, daß Sie nicht dafür verantwortlich sind, aber es beruhigt ihn sicherlich trotzdem.«
    »Er kam mir aber doch jetzt schon ganz ruhig vor.«
    »Wie bitte? Er hat gekocht vor Wut!«
    »Müssen Sie gleich zu Ihrem Schiff zurück?«
    »Nein. Ich bin sofort nach der Ankunft an Land gegangen, um mir die Stadt anzusehen, aber mir scheint, sie hat nicht viel zu bieten.«
    »Da haben Sie recht. Eigentlich ist es nur ein kleiner Ort, zur Zeit zwar überbevölkert, aber …«
    »Überbevölkert? Nach den Menschenmassen in China kommt es mir hier ziemlich leer vor.«
    »Wie viele Einwohner hat China denn?«
    »Na, man schätzt, es sind rund dreihundertdreißig Millionen Menschen.«
    »Lieber Himmel, und ich habe neulich erfahren, daß die weiße Bevölkerung dieses riesigen Kontinents nur zwölftausend ausmacht!«
    Lew starrte ihn ungläubig an. »Das kann nicht sein.«
    »Na, dann erkundigen Sie sich mal, mein Freund. Aber ich muß jetzt nach Hause. Kommen Sie doch mit und essen Sie mit uns zu Abend!«
    Lews sonnengebräuntes Gesicht strahlte. »Es wäre mir eine Ehre«, erwiderte er, was Jack für eine etwas komische und altmodische Floskel hielt. Aber er mochte diesen jungen Mann, und als Seemann hatte er sicher einiges zu erzählen. Jack hörte nichts lieber als gutes Seemannsgarn.
     
    Alice Middleton entschuldigte sich für die einfache Hausmannskost, doch Lew genoß jeden Bissen. Seine Eltern hatten nur chinesisch gekocht, weil sie so wie ihre Gemeindemitglieder leben wollten, aber bei Freunden oder in europäischen Hotels hatte er die englische Küche kennengelernt, wenngleich die Gerichte immer von chinesischen Köchen zubereitet worden waren.
    Er selbst kannte zwar den Unterschied nicht, doch er hörte immer wieder die Beschwerde, es sei »eben doch ein bißchen anders«. Jetzt wußte er, was damit gemeint war. Jacks Frau servierte in dicke Scheiben geschnittenen Rinderbraten mit Yorkshire-Pudding und dicker Soße, dazu ganze Karotten, Kartoffeln und Zwiebeln, die zusammen mit dem Fleisch gekocht worden waren, sowie gekochten Kohl. Es war in der Tat einfache Hausmannskost, ganz ohne Kräuter und Gewürze, aber ihm schmeckte es, und Mrs. Middleton häufte so große Portionen auf seinen Teller, als sollte er den Rest der Woche nichts mehr zu essen bekommen.
    »Haben Sie schon mal chinesisches Essen probiert?« fragte er sie.
    »Nein, ganz bestimmt nicht«, antwortete sie. »Ich habe gehört, die essen lauter widerliche Sachen.«
    »Haifischflossen und Nachtigallaugen«, sagte ihre Tochter Perfy, das anziehendste englische Mädchen, das ihm je begegnet war.
    »Sei nicht so ungezogen«, wies Alice sie zurecht. »Da vergeht einem ja der Appetit.«
    »Hätten Sie Lust, sich meine Dschunke anzusehen?« schlug Lew vor.
    »Gern«, erwiderte Jack. »Ich bin noch nie auf solch einem Schiff gewesen.«
    »Wie wär’s, wenn Sie mit Ihrer Familie zum Abendessen als meine Gäste an Bord kommen? Ich leihe mir Chin Yings Diener aus, sie sind glänzende Köche. An Ihre Kochkünste, Mrs. Middleton, kommen sie natürlich nicht heran, aber vielleicht schmecken Ihnen die chinesischen Gerichte ja doch.«
    »Ach, ich weiß nicht«, antwortete sie

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