Sonnenfinsternis: Kriminalroman
Kroaten und Bos nia ken. Das ist aber einschlie ss lich der Kriegsfreiwilligen aus Russland und anderen slawischen Staaten. Ihr grosser Vorteil war aber, dass sie am besten und modernsten ausgerüstet war, schliesslich konnte sie auf das Material der JNA zurückgreifen. Ausserdem wurde sie aktiv von Serbien unterstützt. Daher konnte die VRS im ersten Kriegsmonat auch fast siebzig Prozent des bosnischen Territoriums besetzen.»
«Und was war mit den A nderen?»
«Der Kroatische Verteidigungsrat, die HVO – das steht für Hrvatsko Vijeće Obrane – erhielt auch Unterstützung von Kroatien, vor allem bei Ausbildung und Logistik. Ich weiss noch, dass Tuđman offiziell jede Beteiligung abgestritten hat, aber es war ein offenes Geheimnis, dass tausende von uns in Bosnien an der Seite der HVO gekämpft haben.» Er bemerkte meinen fragenden Blick und meinte: «Mit uns meine ich die kroatische Armee. Wahrlich kein Ruhmesblatt für Kroatien.»
«Und die Moslems?»
«Die brauchten am längsten, um eine eigene Armee aufzustellen. Erst einen Monat nach Kriegsausbruch wurde die Armija Republike Bosne i Hercegovine , kurz ABiH, offiziell gegründet. Am Anfang hatte sie nicht mal genug Ausrüstung für alle.»
«Was war mit den Mu d schahed d in?» Ich hatte einmal gelesen, dass ehemalige Afghanistankämpfer und sonstige Freiwillige aus muslimi schen Ländern in Bosnien gekämpft haben sollten.
«Einige tausend. Allerdings sollen die nicht viel gebracht haben. Vor allem hat ihre Anwesenheit zu Reibereien mit den Einheimischen geführt.»
«Ach ja? Wieso das denn?»
«Religiöser Fanatismus und absolute Unkenntnis der lokalen Sitten. Keine gute Mischung in einem traditionell toleranten Land.»
«Und was ist mit den ganzen Freischärlern, die jetzt in Den Haag einsitzen?» Ich wusste aus Fernseh- und Zeitungsberichten, dass eine ganze Reihe von Mit glie dern irregulärer Verbände, die damals in Bosnien operiert hatten, wegen Kriegs verbrechen vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugo slawien ve r urteilt worden waren und nun zum Teil langjährige Haftstrafen ab sassen.
«Das Gesindel gab’s auf allen Seiten, am meisten allerdings tat säch lich bei den Serben. Die hatten alle hochtrabende Namen wie die ‹ Weis sen Adler › , die ‹ Gelben Wespen › , ‹ Arkans Tiger › , die ‹ Skorpione › und so weiter, aber eigentlich waren es gewöhnliche Verbrecher. Auf kroati scher Seite gab es die ‹K roatischen Verteidigungskräfte › , besser bekannt als HOS, und auf muslimischer Seite die ‹ Patriotische Liga › und die ‹ Grünen Barette › . Die meisten stammten aus dem rechtsradi ka len Milieu.»
«Und die ethnischen Säuberungen?» Auch darüber hatte ich gelesen: Durch Terror an der Zivilbevölkerung hätten Angehörige anderer Volksgruppen während der Jugoslawienkriege dazu gebracht werden sollen, ‹freiwillig› ein bestimmtes Gebiet zu verlassen. Zu den dafür verwendeten Einschüchterungsm ethoden hatten Mord, Folterungen, systematische Massenvergewaltigungen und das Betreiben von Konzen trations lagern gehört, wie sie Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen hatte. Die Vereinten Nationen hatten hilflos reagiert und lediglich eine Flugverbotszone über ganz Bosnien eingerichtet sowie Orte mit besonders vielen Flüchtlingen zu sogenannten UNO-Schutz zo nen erklärt. Diese Massnahmen waren allerdings weitgehend wirkungs los geblieben, und erst die Durchsetzung der Flugverbotszone sowie die Bom bar dierung serbischer Stellun gen durch die NATO hatte die Serben schliesslich an den Verhandlungs tisch gebracht und den Dayton-Vertrag ermöglicht, mit dem der Bosnienkrieg Ende 1995 beendet worden war .
«Und was ist mit den ethnischen Säuberungen?», wollte ich von Ivica wissen.
«Was meinst du?»
«Wie hat das genau funktioniert?»
«Immer gleich. Die Armee, Freischärler, aber auch die Polizei und sogar Nachbarn griffen die Zivilbevölkerung der jeweils anderen Bevölkerungsgruppen an und nahmen Städte und Dörfer in Besitz. Sobald dies geschehen war und sie die Kontrolle über diese Gebiete ausübten, wurden Häuser und Wohnungen geplündert und angezündet. Die Bevölkerung wurde zusammengetrieben, Frauen und Männer vonei nan der getrennt und in Konzentrationslager gesperrt.»
«Eingesperrt oder umgebracht?» Ich wusste, dass in Bosnien nach dem Krieg viele Massengräber ausgehoben worden waren. Und natür lich wusste ich über Srebrenica Bescheid, wo serbische
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