Sonnenfinsternis: Kriminalroman
Bahr-Mildenburg. Überhaupt schien i hre ganze Er scheinung direkt aus einer Wagner-Oper zu stammen. Es fehlte nur der geflügelte Walkürenh elm.
Ivica und ich waren beide sprachlos. Begić hingegen wedelte auf ge regt mit den Armen, winkte sie zu sich her an und redete dann ein dring lich auf sie ein. Sie schüttelte ein paar Mal den Kopf, aber schliesslich nickte sie widerwillig. Erneut fixierte sie uns mit ihrem Todesblick und sagte: «Also gut. Eine Stunde. Keine Minute länger.» Dann rauschte sie wütend davon.
Ich schloss kopfschüttelnd die Tür hinter ihr. Dann ging ich zum Tisch, packte zwei Stühle, trug sie zu Begić her über und setzte mich an den Fuss seines Betts. Ivica nahm auf der anderen Seite Platz und wechselte ein paar Worte mit dem alten Mann , bevor er mich unver mit telt fragte: «Sag mal, was weisst du über die Jugoslawienkriege?»
Ich fühlte mich ein bisschen überrumpelt , als ich zugab : «Ehrlich gesagt, nicht viel. Ich erinnere mich vage an die Nachrichten damals, aber sonst habe ich mich nie gross damit beschäftigt.»
«So wie der Rest der Welt», meinte er sarkastisch. «Soll ich dir zuerst eine Kurz zusammenfassung geben, bevor wir uns mit Begićs Geschichte befassen?»
«Sicher, wenn du glaubst, dass das nötig ist.»
«Das denke ich, ja. Moment…» Er sagte noch einmal etwas zu Be gić. Dieser nickte erneut und liess sich dann erschöpft auf sein Kissen zu rück fallen.
Ich nahm meinen Digitalrekorder aus der Tasche, schaltete ihn ein und lege ihn zwischen uns auf das Bett. Dann begann Ivica mit einer überraschend detail reichen Zusammenfassung der Jugoslawienkriege. Offenbar hatte er sich sehr intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt .
Die Weichen für den späteren Bosnienkrieg wurden bereits vor dem end gültigen Zerfall Jugoslawiens gestellt, welcher im Juni 1991 mit den Unab hängig keitserklärungen Sloweniens und Kroatiens begann. Schon Anfang 1991 erklärte der damalige serbische Präsident Slobodan Milošević als Ant wort auf zunehmende Unabhängigkeitsbestrebungen in den Teil republiken, dass er alle Territorien Kroatiens und Bosniens mit nennens werter serbischer Bevölkerung annektieren würde, falls jemand den Versuch unternehmen sollte, an der jugoslawischen Bundesstruktur zu rütteln. Noch im März des gleichen Jahres traf er sich im verschlafenen Dörfchen Karađorđevo in der serbischen Vojvodina insgeheim mit dem kroatischen Präsidenten Franjo Tuđman, um die Aufteilung Bosniens zu besprechen. I m Mai des selben Jahres erklärte dann die serbisch-demokratische Partei, die Srpska Demokratska Stranka oder kurz SDS, drei Gebiete Bosniens mit vorwiegend serbischer Bevölkerung zu serbisch-autonomen Regionen.
Die folgenden Monate waren durch wachsenden Hass zwischen den ver schiedenen Bevölkerungsgruppen gekennzeichnet , und im Sommer brach offener Krieg zwischen Slowenien und der jugoslawischen Republik aus, die von Serbien dominiert wurde. Dieser dauerte nur zehn Tage und endete mit der weitgehenden Unabhängigkeit Sloweniens. Eine Folge des Konflikts war, dass eine grosse Zahl kroatischer und slowenischer Soldaten von der jugo slawischen Volksarmee, der Jugoslovenska Narodna Armija oder kurz JNA, desertierten.
Kurz darauf brach auch in Kroatien Krieg aus. Dieser wurde zunächst zwischen der neu aufgebauten kroatischen Armee und den Streitkräften der Republik Serbische Krajina geführt, welche rund einen Drittel des kroatischen Staatsgebiets kontrollierte. Es dauerte allerdings nicht lange, bis die nun fast ausschliesslich serbische JNA in den Konflikt eingriff. Dazu kam eine grosse Anzahl serbischer Freischärler, welche bald für eine Reihe von Kriegsverbrechen verantwortlich zeichneten.
Im August 1991 begann die JNA ihren Angriff auf das barocke ost kroati sche Städtchen Vukovar, welches in den folgenden drei Monaten durch geschätzte sechs Millionen Artilleriegranaten in Schutt und Asche gelegt wurde. Nach der Eroberung der Stadt im November 1991 verübten Verbände der JNA und serbische Freischärler im örtlichen Spital ein Massaker an über zwei hundert verwundeten kroatischen Soldaten und Zivi listen, die auf dem Gelände einer nahegelegenen Schweinefarm erschossen und in einem Massen grab verscharrt wurden.
«Vukovar war der Grund, weshalb ich damals nach Kroatien zurück ge gangen bin. Meine Familie stammt aus der Stadt.» Ivica sagte es nüchtern und vordergründig emotionslos, aber ich kannte ihn und sah ihm an, dass
Weitere Kostenlose Bücher