Sonnenfinsternis: Kriminalroman
Schützen panzer und Militärbauten sah er so fehl am Platz aus, dass Begić zwei mal hinsehen musste.
Um den Bus zu besteigen, mussten die grässlich anzuschauenden und fürchter lich stinkenden Gefangenen erneut einen Spiessrutenlauf durch die Phalanx der Wachen hindurch absolvieren, bei dem sie geschlagen und getreten wurden . Nach und nach füllte sich so das Fahrzeug, bis schliesslich alle sechsundfünfzig verblei ben den Männer aus Ahatovići zusammengepfercht im hinteren Teil standen. Im vorde ren Teil liessen sich die Wachen auf die gepolsterten Sitze fallen und beschimpf ten die Gefangenen sporadisch , wohl aus reiner Gewohnheit.
Begić war das alles gleichgültig. Er sass bei seinen Söhnen und starrte aus dem Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen. Da stupste ihn plötzlich jemand an. Er drehte sich um und sah Mujo Hasanović, der ihm aufmunternd zuflüsterte: «Nur noch ein paar Stunden!»
Begić nickte nachdenklich. In Gedanken war er bereits auf der Suche nach seiner Frau. Wenn er sie nur finden konnte, dann hatte zumindest seine Familie Glück im Unglück gehabt. Aus dem Fenster beobachtete er , wie Luka Princip mit einem seiner Untergebenen sprach. Dieser grinste breit und zeigte Princip den nach oben gestreckten Daumen. Dann gestikulierte und schrie er wild herum, worauf die Soldaten und Freischärler, welche den Bus umringt hatten, zu den wartenden Begleitfahrzeugen rannten und an Bord kletterten.
Der Busf ahrer setzte sich hinter das Lenkrad und startete den Motor , dann setzte sich d er kleine Konvoi in Bewegung. Abgesehen von den rituellen Beschimpfungen waren die Aufseher erstaunlich guter Laune und gaben bereit willig Auskunft auf die Fragen der Häftlinge.
Ja, sie waren auf dem Weg zu einem Austausch. Ja, die Fahrt würde nicht allzu lange dauern. Ja, sie würden schon bald ihre Familien wiedersehen.
Nur ihr Ziel wurde ihnen nicht mitgeteilt. Begić gingen davon aus, dass es Pale sein musste, die Hochburg der bosnischen Serben. Dort fanden die meisten Gefangenenaustausche statt, was er so gehört hatte. Und tatsächlich kamen sie bald darauf zum Vogosca-Verkehrsknoten.
Plötzlich hielten sie ohne Begründung an. Vielleicht eine Minuten später hörte Begić ein statisches Knacken und Rauschen und sah, wie einer der Aufseher vorne beim Fahrer einen kurzen Funkspruch führte. Danach stand er abrupt auf und befahl allen Gefangenen barsch, sich sofort auf den Boden des Bus s es zu legen. Dort hatte es aber nicht genug Platz für alle, und so lagen sie wie Ölsardinen über- und untereinander. Es war so eng, dass Begić nicht einmal seinen Kopf drehen konnte.
Kurz darauf fuhren sie weiter. In ihrem Zustand erlitten die geschundenen Män ner bei jedem Holpern des Bus s es, bei jeder Tempo ände rung und bei jedem Richtungswechsel höllische Qualen. Jeder, der sich zu bewegen versuchte, wurde sofort von einem Gewehrkolben oder dem Ende eine s Schlagstock s getroffen.
Die Fahrt dauerte viel länger, als Begić gedacht h ä tte, und in ihrer Lage verloren die Gefangenen schon bald jegliches Zeitgefühl. Ab und zu stoppte der Bus irgendwo, während der Fahrer oder eine der Wachen per Funk weitere Instruktionen anforderte.
Schliesslich hielten sie ganz an . Der Motor wurde ausgeschaltet. Einer der Aufseher befahl den Gefangenen , sich nicht zu rühren und weiterhin auf dem Boden liegen zu bleiben. Ein anderer fügte hinzu, dass das Getriebe überhitzt sei und es nicht lange dauern würde. Dann verliessen alle Wachen den Bus.
Eine Weile passierte gar nichts. Die auf dem Boden liegenden Männer drehten vorsichtig ihre Köpfe nach links und rechts und schauten sich gegenseitig fragend an, aber keiner wagte aufzustehen. Irgendwann hörte Begić zwei Fahrzeuge vorbei rollen. Dann herrschte wieder Totenstille. Er konnte deutlich das Pfeifen der Vögel, das leichte Rauschen des Windes in den Blättern der Bäume und die stossweise Atmung seiner Leidensgenossen hören. Absurderweise blieb ihm dieser Moment später am besten in Erinnerung.
Ein, zwei Minuten lang passierte nichts.
Dann brach auf einmal die Hölle los. Aus Richtung der Begleitfahr zeu ge wurde urplötzlich aus allen Rohren das Feuer auf den Bus eröff net. Die dicken Fensterscheiben zersplitterten in tausend Stücke, und die Gewehrkugeln sowie m ehrere Geschosse aus Granatwerfen machten ein Sieb aus den dünnen Seitenwänden des Busses. K urz darauf wurden auch noch mehrere Handgranaten durch die kaputten Fenster ins Busin ne re
Weitere Kostenlose Bücher