Sonnenfinsternis: Kriminalroman
zur gleichen Zeit im gleichen Tram, hatten es an die Spitze meiner Liste geschafft . Die anderen vier – ‹Kojak›, ‹Leslie›, ‹Drew› und nun ‹Pan Tau› – hatten noch eine zweite Chance, falls sich heute nichts ergab. Dann fiel mir ein, dass ich für diesen Fall den nächsten Schritt noch nicht so ganz durchdacht hatte. Wie konnte ich die Damen und Herren anspre chen, ohne dass sie mir gleich die Brieftasche entgegen warfen und davon rannten? Ihnen eine erfundene Geschichte auftischen? Mich neben sie setzen und ein belangloses Gespräch beginnen? Oder doch auf die direkte Art? Schliesslich entschied ich mich für die letzte Variante: Ich würde den richtigen Moment abwarten, ihnen dann Hasanovićs Foto zeigen, sie fragen, ob sie diesen Mann kannten oder schon einmal gesehen hatten, und dann, sofern sie tatsächlich bejahten, auf den spezifischen Montagmittag zu sprechen kommen. Aber wann? Sollte ich nochmals einen Tag warten? Aber nein, ich war kein geduldiger Mensch, und ausserdem gab es keine Garantie dafür, dass sie auch morgen wieder im Tram sitzen würden.
Na schön. Kurz vor dem Bellevue sassen sowohl ‹Bruce› als auch ‹Angela› noch da. Ich musste eine Entscheidung zwischen den beiden treffen . Dann also ‹Bruce›. Er war gerade im Aussteigen begriffen, und in letzter Sekunde stolperte ich hinter ihm aus dem Tram.
Der gute Mann hatte ein ziemliches Tempo drauf. Mit Müh und Not folgte ich ihm in einiger Entfernung zu einer kleinen Bar in der Altstadt. Ich betrat die schmierige Spelunke kurz nach ihm und schaute mich um. Der schmale, lang ge zo gene Raum war düster und roch nach Rauch und abgestandenem Bier. Mit Ausnahme von uns beiden war er leer. ‹Bruce› stand hinter der Theke. Er trug ein Namensschild, auf dem ‹M. Kohli› stand.
«Hallo, M. Kohli», sagte ich freundlich und setzte mich an die Bar aus dunklem Nussholz.
Er musterte mich mit neutraler Miene und fragte: «Was darf’s sein?»
«Klosterbräu.» Ich schaute ihm zu, wie er das Bier zapfte und es dann nonchalant herüber schob. Nach einem kräftigen Schluck ging ich in die Offensive. Ich griff in meine Brusttasche, nahm Hasanovićs Foto heraus und legte es auf die Bar. «Sagen Sie, kennen Sie den Mann.»
Er blieb ungerührt und beachtete das Foto nicht. «Warum?», knurrte er nur.
«Es könnte doch sein, dass Sie ihn kennen», antwortete ich, immer noch freundlich.
«Ich kenne viele Leute . » Er drehte mir den Rücken zu und begann, Gläser mit einem Tuch auszureiben und in eine Ablage über der Bar zu stellen.
«Es geht auch nicht in erster Linie darum, ob Sie ihn kennen, sondern ob Sie mir allenfalls weiterhelfen können. Ich suche ihn.»
Nun hatte ich seine Aufmerksamkeit plötzlich. Er drehte sich um und musterte mich eingehend. «Sind Sie ein Schroter?»
«Ex.» Ich gab ihm eine meiner Visitenkarten.
Er unterzog sie ebenfalls einer genauen Untersuchung und schaute mich dann misstrauisch an. «Müsste das nicht Privatdetektiv heissen?»
«Matula ist Privatdetektiv. Ich bin Privatermittler.»
Er schüttelte den Kopf und ich hoffte, dass er gar keinen Fernseher hatte und darum auch nicht wusste, dass Ermittler in den Krimis für Auskünfte meistens bezahlen mussten. Das Glück war auf meiner Seite. Er sagte nur herablassend: «Sie sind ein kleiner Klugscheisser, wie?» Dann seufzte er, nahm das Bild vorsichtig zwischen Daumen und Zeigfinger und betrachtete es eingehend. Schliesslich schüttelte erneut er den Kopf und schaute mich neugierig an. «Wie kommen Sie über haupt darauf, dass ich ihn kennen könnte?»
«Sie haben den gleichen Arbeitsweg», antwortete ich und nahm das Foto wieder an mich.
Seine Miene verfinsterte sich sofort und sein Ton wurde misstrau isch. «Woher wollen Sie das wissen?»
«Ich habe seinen Arbeitsweg ein paar Mal abgefahren und nach Leuten Aus schau gehalten, die regelmässig zur gleichen Zeit einen Teil davon mitfahren. Da sind Sie mir aufgefallen.»
«Ach ja? Und von wo bis wo fahre ich?»
«Lochergut bis Bellevue.»
Er nickte. «Also gut. Und woher wissen Sie, dass ich hier arbeite? Sind Sie mir gefolgt?»
Nun war es an mir, zu nicken. «Ich fand das diskreter, als Sie im Tram anzusprechen und die ganze Sache zu erklären.»
«Na schön.» Er kratzte sich an der Nase. «Nur leider waren Ihre Bemühungen umsonst. Ich kann Ihnen dazu absolut nichts sagen. Ich habe den Mann noch nie gesehen. Soweit ich mich erinnere wenigs tens.»
Ich hielt ihm das Foto nochmals vor
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