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Sonnenfinsternis: Kriminalroman

Sonnenfinsternis: Kriminalroman

Titel: Sonnenfinsternis: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Moor
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aber auf ein Nicken und steckte meine Brieftasche wieder ein.
    Das Gesicht der alten Dame nahm einen etwas entrückten Ausdruck an. «Wis sen Sie, junger Mann, seit meiner Pensionierung komme ich jeden Tag zur glei chen Zeit hierher ans Zürichhorn, um meinen Kaffee zu trinken und nachher mit Rocky spazieren zu gehen und die Enten zu füttern.»
    Das Mikrohündchen hiess also Rocky . Das war so köstlich, dass ich am liebsten laut losgelacht hätte. Aber ich beherrschte mich und lenkte stattdessen das Gespräch wieder auf mein Anliegen. «Wie gesagt», erklärte ich, «ich suche jemanden. Einen Vermissten. Die letzten paar Tage bin ich seine Arbeitsstrecke abgefahren. Mit den gleichen Trams, die er jeweils benutzte. Dabei ist mir aufgefallen, dass Sie an allen drei Tagen ebenfalls in diesen Tram s sassen.»
    Sie dachte kurz nach und antwortete dann: «Und das ist ja auch der Grund, weshalb Sie mitgefahren sind, nicht? Um Leute zu finden, die ihn kennen?»
    Ich nickte. «Ja, so ungefähr. Eigentlich eher, um Leute zu finden, die vielleicht etwas beobachtet haben.» Ich nahm Hasanovićs Foto aus meiner Brusttasche, legte es vor sie hin, nickte in Richtung des freien zweiten Stuhls an ihrem Tisch und fragte: «Darf ich mich setzen?»
    Sie nickte geistesabwesend, während sie das Foto einen Moment lang stumm betrachtete und dann erstaunt meinte: «Sie, ja, ich kenne diesen Mann tatsächlich!» Dann wurde ihr bewusst, dass sie laut geworden war , und sie schaute sich in typisch schweizerischer Manier schuldbewusst um. Etwas leiser wiederholte sie: «Ich kenne ihn!»
    «Wirklich kennen ? Als Person? Wissen Sie, wie er heisst? Oder sind Sie einfach manchmal mit dem gleichen Tram gefahren?»
    «Nicht manchmal. Jeden Tag!»
    Bingo! Ich versuchte, mir meine Aufregung nicht anmerken zu las sen und fragte: «Wirklich? Jeden Tag?»
    «Ja», antwortete sie energisch, «wirklich jeden Tag. Bis vor etwa vier Monaten, dann habe ich ihn plötzlich nicht mehr gesehen. Er hat wohl die Stelle gewechselt oder andere Arbeitszeiten erhalten.» Ihr Gesicht nahm wieder diesen gedankenverlorenen Ausdruck an, wie die Engels statuen auf katholischen Friedhöfen in Italien, die mir aus einer Kind heitsreise im Gedächtnis geblieben waren. «Er war ein sehr netter Mann. Immer gut gekleidet und sehr zuvorkom mend. Er grüsste einen immer und wenn das Tram voll war, bot er den Damen oder älteren Personen, auch den Männern, seinen Platz an, und…»
    Ich unterbrach sie. «Ja, aber kennen Sie seinen Namen?»
    «Sultan», entfuhr es ihr, dann lächelte sie verlegen und meinte: «Nein, seinen Namen kenne ich nicht. Aber er hat dieses Gesicht, wie aus Stein gemeisselt. Und dieses Bärtchen. So männlich und geheimnis voll. Ich habe ihn immer Sultan genannt. Weil er einfach so aussieht.»
    «Ausgesehen hat», korrigierte ich sie reflexartig. Dann hielt ich kurz inne, als mir bewusst wurde, was ich gerade gesagt hatte. Supersensibel, van Gogh! Ich gab mir einen mentalen Tritt in den Hintern und blickte ihr in die Augen. «Er ist ermordet worden.»
    Sie hielt sich erschüttert eine Hand vor den Mund. «Oh mein Gott ! Wann?» Rocky nahm das Stichwort auf und jaulte, bis sie ihn mit einem ungeduldigen Wort zum Schweigen brachte.
    «Schon vor etwa vier Monaten», antwortete ich.
    «Deshalb war er nicht mehr auf unserem Tram?»
    «Ich fürchte ja.»
    «Oh mein Gott!», wiederholte sie und starrte in ihren Kaffee. Die Nachricht erschütterte sie ganz offensichtlich. Dann blickte sie auf und fragte: «Wer tut so was?»
    «Genau das versuche ich herauszufinden. Wann haben Sie ihn zu letzt gese hen?»
    Sie überlegte kurz. «An einem Dienstag vor… ja, eben, das war vor etwa vier Mona ten. Ich erinnere mich gut wegen dieser komischen Sache damals…»
    Eins ums andere. Zuerst wollte ich sichergehen, dass der Wochentag stimmte. Also unterbrach ich sie und hakte nach: «Entschuldigen Sie, aber sind Sie sicher? Ein Dienstag? Es ist immerhin schon eine Weile her und…»
    Nun unterbrach sie mich. Etwas unwirsch meinte sie: «Ja, natürlich bin ich sicher. Ganz sicher. Ich erinnere mich so genau daran, weil es der Geburtstag meines verstorbenen Mannes gewesen wäre, Gott hab ihn selig.»
    E lender Mist! Wenn sie sich so sicher war, erinnerte sie sich wohl tatsächlich gut daran. Aus reiner Gewohnheit bohrte ich trotzdem noch etwas nach: «Darf ich fragen, wann ihr Mann Geburtstag hatte?»
    «Natürlich dürfen Sie. Markus hatte am elften Juli Geburtstag. Das war sehr

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