Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
geheilt.
Nur Zotz konnte solch ein Wunder bewirkt haben. Zotz gab ihm seine Kraft zurück, sodass er seinen Befehl ausführen konnte. Zotz hatte ihn immer beschützt, in dem künstlichen Dschungel, in der Gewitterwolke, als der Blitz zuschlug.
Er kippte die Flügel und flog nach Norden.
Er wusste, es würde nicht lange dauern, bis ihn die Menschen fingen.
– 3 –
Das Paradies
Es war Sommer.
Wald erstreckte sich, so weit Schattens Augen und Ohren sehen konnten. Nicht der eisbedeckte Wald, den er gerade hinter sich gelassen hatte, sondern Wald in vollem Laub: Ahorn, Ulme, Buche, Eiche, Hemlockfichte – ihre Blätter bildeten ein frisches, grünes Dach. Wildblumen rankten sich durch die Äste und Schatten konnte reifende Früchte riechen. Ganz unten hörte er das Plätschern eines Baches. Die Luft war seidig und warm, duftete nach Rinde und Erde und strotzte vor Insekten. Allein sie zu hören ließ ihm schon das Wasser im Munde zusammenlaufen. Wie aber konnte es mitten im Winter so warm sein? Wo war er? Verwirrt blickte er nach oben. Die vertrauten Sterne funkelten an einem Himmel, der sich langsam aufhellte.
Aber du bist nicht draußen, sagte er sich. Du bist drinnen. Es wurde ihm klar, dass er den Nachthimmel durch ein Glasdach sah – das gleiche Dach, das draußen seine Echoblicke wie harter Stein zurückgeworfen hatte.
Er schwirrte in der Luft, als Marina durch den gleichen Eingang angeschossen kam, durch den er selbst gekommen war. Dann platzten die anderen Silberflügel zu zweit und zu dritt in den Wald herein. Schatten entdeckte, dass es eine metallene Klappe gab, die sich automatisch öffnete und sich dann hinter ihnen wieder schloss. Bald war die ganze Gruppe da und kreiste verwundert über dem Dach des Waldes.
„Ist er wirklich?“, hauchte Marina, während sie neben ihm flog.
„Riecht wirklich“, sagte Schatten und tauchte vorsichtig zu einem Baumwipfel hinab, schlug mit der Flügelspitze auf ein Blatt und ließ sich dann unter einem Ast nieder. Seine Krallen drangen in das Holz. „Fühlt sich auch wirklich an.“
Es war unglaublich: ein lebendiger Wald in einem Gebäude! Nach der bitteren Kälte des Winters hatte er das Gefühl, dass seine Knochen auftauten. Er fühlte sich leichter.
Plötzlich schoss ein Bärenspinner an seiner Nase vorbei. Er spitzte die Ohren, konnte nicht widerstehen. „Schatten!“, hörte er den Ruf seiner Mutter hinter sich, aber er war schon weg und jagte in die Bäume hinab hinter seiner Beute her. Jubelnd kam er auf ihn zu und ignorierte die Wolke von Echos, die der Bärenspinner ausstieß, um ihn zu verwirren. Näher, näher, er bremste ab, schaufelte die Motte mit dem Schwanz nach vorn und schleuderte sie in seinen offenen Mund. Nach Wochen mit Schneeflöhen und Raupenkokons schmeckte sie so köstlich, dass er fast ohnmächtig wurde.
Niedrig schoss er über einen schnell fließenden, gluckernden Bach und freute sich, Wasser zu sehen, das nicht hart gefroren war. Draußen hatte er sich daran gewöhnt zu trinken, indem er den Mund mit Schnee füllte und vor Schmerz winselte, wenn er an den Zähnen schmolz. Nun streifte er über den Bach, wischte mit dem Mund über die Wasseroberfläche und ließ es in die Kehle spritzen.
Und dann, als er hochzog, bemerkte er die hunderte von Fledermäusen, die neugierig um ihn herumschwirrten. Grauflügel, Glanzflügel und Silberflügel, alle starrten ihn aufmerksam an. Da waren auch Kleinfüße, Fransenfledermäuse, Langohren und andere Arten, die er vorher noch nie gesehen hatte.
„Willkommen!“, riefen sie. „Neuling, willkommen!“ „War es eine weite Reise?“
„So spät im Winter!“
„Haben bis zum Frühjahr keine weiteren Neuankömmlinge mehr erwartet!“
Und dann hatte er ein Gefühl, als ob er von ihren Flügeln emporgehoben und nach oben getragen würde, zurück durch das dichte Walddach zu Marina und Ariel und den anderen. Da waren jetzt noch viel mehr Fledermäuse, sicherlich tausende, die um sie herumwirbelten und sie mit Fragen bestürmten. Einige, bemerkte er sofort, waren beringt, die meisten aber nicht.
Alle schienen ehrlich erfreut sie zu sehen.
„Was ist dies für ein Ort?“, rief Frieda.
„Das Paradies.“
Die Stimme kam von einer Langhaarfledermaus, die herbeigeflogen kam, um sie zu begrüßen. Es war ein älteres Weibchen, konnte Schatten sehen, wenn auch lange nicht so alt wie Frieda. Ihr Fell war grau gefleckt mit silbernen Streifen über Brust und Rücken. Sie hatte einen kurzen
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