Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
keine guten Führer.“
Schatten grinste wieder und machte mit der Polierarbeit weiter.
Es war so einfach, mit seinem Vater zu reden, aber es war eine noch neue Erfahrung und ab und zu empfand er einen plötzlichen Glücksschauer.
Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich vollständig.
Fast jedenfalls. Er seufzte innerlich.
„Was hältst du von Marina?“, fragte er seinen Vater wie nebenbei.
„Prächtige junge Fledermaus.“
Seit sie in die nördlichen Wälder zurückgekehrt waren, hatten sich viele von den jungen Fledermäusen Partner gesucht. Er hatte das alles mit einem Gefühl des Unbehagens beobachtet. Die Wahrheit war, er kam sich immer noch komisch vor, besonders in Gegenwart von Weibchen. Und seit kurzem sogar in Gegenwart von Marina, und das ärgerte ihn ganz besonders. Sie waren so gute Freunde gewesen. Sie hatte ihr Leben für ihn aufs Spiel gesetzt und er hatte sich in ihrer Gegenwart so vollkommen wohl gefühlt. Aber jetzt war alles anders und er konnte es einfach nicht glauben, dass sie ihn als möglichen Partner ernst nahm.
Es war noch nicht so lange her, dass er sie zum ersten Mal getroffen hatte. Er war damals ein ganz junger Knirps gewesen, verirrt und verängstigt, und sie war ein ganzes Jahr älter als er – etwas was sie ihn nie vergessen ließ. Sie schien dauernd so kolossal unbeeindruckt von ihm. Sicher, man hielt ihn für einen Held. Wie kam es dann, dass er sich nie so fühlte?
„Ja doch, sie ist ziemlich großartig“, sagte er. Mit einem Seufzer legte er seinen Polierstein weg. „Ich sehe nicht besonders gut aus, erst recht nicht, nachdem mein halbes Fell verbrannt ist.“
„Es wird nachwachsen. Lass dich mal anschauen.“
Sein Vater neigte sich zurück, hielt den Kopf auf die eine, dann die andere Seite. „Du siehst gar nicht so schlimm aus, nicht hässlicher als dein Vater.“
„Ich bin nicht groß wie die anderen. Nicht ... gut aussehend. Wie Chinook.“
„Nein, du siehst nicht so gut aus wie Chinook. “
„Nein“, sagte Schatten, enttäuscht, dass sein Vater ihm so bereitwillig zugestimmt hatte.
„Weißt du was?“, sagte sein Vater. „Ich glaube nicht, dass Marina sich was daraus macht.“
„Glaubst du nicht?“
„Nein. Sie ist zu klug dafür.“
„Ich muss mal die Flügel ausstrecken“, sagte Schatten unvermittelt.
„Lass dir Zeit“, sagte sein Vater.
Schatten schoss aus dem Echosaal hinaus, eilte in Spiralen durch eine größere Höhle und kroch dann auf allen vieren durch den gewundenen Tunnel, der in den unteren Teil des neuen Baumhorts führte.
Überall um ihn herum waren Silberflügel an der Arbeit, nagten sich Simse und Schlafplätze aus dem weichen Holz. Er flog durch den hohlen Stamm nach oben und suchte mit dem Klang-Sehen nach Marina. In der Nähe des Wipfels entdeckte er seine Mutter. Sie beaufsichtigte die Arbeit an den Ruheplätzen der Ältesten, die sich ganz oben befinden sollten.
„Schatten“, begrüßte sie ihn und liebkoste seine Wange.
„Hast du Marina gesehen?“
„Sie ist hinausgeflogen, um zu jagen, denke ich.“ Ohne zu warten fegte er durch ein Astloch im Stamm und befand sich draußen in der Nacht. Wie er monatelang dies alles vermisst hatte. Es war jetzt der Beginn des Frühjahrs, die Luft war noch kühl, auf den Ästen und Gräsern glitzerte ein Hauch von Frost. Aber alles fing an zu leben, Blätter begannen sich zu entfalten, Knospen aufzubrechen. Er fragte sich, ob er je gegenüber dem Tag die gleichen Gefühle haben würde wie gegenüber der Nacht, und entschied, dass das nie so sein würde.
Irgendwie würde die Nacht immer etwas ganz Besonderes bleiben.
„Marina! “, rief er, während er im Flug ein paar Zuckmücken schnappte. Er glaubte sie vor sich zu sehen, jagte hinter ihr her und rief noch einmal ihren Namen. „He, warte doch auf mich!“
„Um die Wette zum Bach!“, hörte er sie über die Schulter zurückrufen.
„Muss das sein?“, rief er, aber sie gab kein Anzeichen anzuhalten und er hasste den Gedanken, dass sie ihn schlagen könnte. Er trimmte die Flügel und schoss hinter ihr her durch die Äste einer großen Kastanie – eine Abkürzung, die er kannte. Er brach aus den Bäumen, flatterte über dem Bach und tauchte hinab, um etwas Wasser in den Mund zu schaufeln. Es war so kalt, dass es brannte.
„Hab dich geschlagen!“, rief er und ließ sich auf einem tief hängenden Ast nieder.
„Hast du nicht.“
Er zuckte zusammen. Sie hing nur ein paar Zentimeter neben ihm, eingehüllt
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