Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
einen Segen ausgaben. Aber dieser Gegenstand, der nun an ihm befestigt war, fühlte sich auf seiner Haut und auf seinen Knochen so ungewohnt, so unnatürlich an. Er konnte fremdartige menschliche Hieroglyphen erkennen, die in seine Oberfläche eingeritzt waren. Er hasste das Ding.
Es wurde ihm kaum bewusst, dass er sich wieder weiterbewegte. Als er anhielt, schwebten weitere menschliche Hände über ihm. Sie hielten noch ein Stück Metall. Dieses Mal war es eine kleine Scheibe. Mit einer kurzen Kette wurde sie an der Öse an seinem Bauch befestigt. Mit einem Ruck kam er auf die Füße und fühlte, wie die Scheibe an ihm zog. Sie war erstaunlich schwer.
„Ist es vorbei?“, rief er mit heiserer Stimme zu der Fledermaus, die vor ihm war. Aber alles, was er als Antwort erhielt, war ein Schmerzensschrei. Erneut wurde er von Entsetzen durchdrungen. Was nun, was stand ihm denn noch bevor?
Der Trog surrte weiter. Außerhalb der Glasabdeckung näherten sich wieder Menschen. Er sah, wie ihre Hände auf die Öffnungen zukamen, und starrte sie wie gebannt an, unfähig wegzuschauen. Sie streckten sich herein mit einer Zange wie mit den Kiefern eines bösartigen metallenen Tieres. Er zuckte zurück, aber von der anderen Seite kamen weitere Hände und hielten ihn fest. Er sah, wie sich das gabelförmige Instrument näherte, direkt auf seinen Kopf zu.
„Nein!“, schrie er. „Nicht! Bitte!“
Er legte die Ohren an, versuchte sich klein zu machen, versuchte zu verschwinden, die Augen fest geschlossen wie ein Neugeborenes. Es half nichts. Er spürte, wie sich das Metall um seine Ohrmuschel legte, dann kam ein furchtbarer stechender Schmerz.
Er glaubte, sein hämmerndes Herz würde sich schließlich von den Rippen losreißen. Aber schon war das Schlimmste vorbei, nur noch eine pochende Erinnerung, er sackte schlaff in sich zusammen und sah, wie sich die Hand mit dem Instrument entfernte. Gott sei Dank, dachte er benommen. Es war wenigstens vorbei; es hatte ihn nicht umgebracht.
Aber sie hatten etwas in seinem Ohr gelassen. Heftig wackelte er mit dem Kopf, um es abzuschütteln. Es war etwas, was in den Rand der Ohrmuschel eingebettet war, etwas Kleines, Kaltes, Hartes. Er drehte den Hals herum, um es sehen zu können, aber das ging nicht.
Plötzlich kippte der Boden des Troges, die Wand vor ihm fiel weg und er taumelte unbeholfen ins Dunkle. Mit dem Gesicht schlug er hart auf dem Boden auf, und als er hochblickte, sah er überall um sich herum andere Fledermäuse, die ihn traurig anblickten. Sie atmeten alle schwer, als wären sie gerade eine große Strecke geflogen. Er befand sich in einem großen schwarzen Behälter ohne jede Öffnung außer der einen seitlichen, durch die er gerade hereingefallen war. Er wandte sich wieder zu den Fledermäusen und entdeckte einige Gesichter aus dem Wald, obwohl er niemanden mit Namen kannte. Nun bemerkte er die Metallknöpfe in ihren Ohren und er sah auch Metallscheiben, die an ihrem Bauch befestigt waren. Allen war das Gleiche widerfahren. Er ließ sich auf den Bauch fallen. Sein ganzer Körper tat weh, als wäre er von einem Sturm herumgeschleudert worden. Er fühlte sich angesteckt von der Atmosphäre der Niederlage, zu ausgelaugt, um zu sprechen.
„Schatten!“
Ganz plötzlich fiel eine andere Fledermaus über ihn her, erdrückte ihn fast mit den Unterarmen, presste in freudiger Begrüßung die Nase an seinen Hals. Schatten erkannte den Geruch, das Muskelpaket und das Glänzen des Haars mit den silbernen Spitzen.
„Chinook!“, sagte er mit einer überraschten Aufwallung ehrlicher Freude. „Hm, Chinook, könntest du ein bisschen lockerer lassen, du hast mich ein wenig fest ...“
„Oh, tut mir Leid“, sagte dieser und lockerte etwas den Griff um Schattens Hals. Er blickte über die Schulter. „He, alle Mann, das ist Schatten Silberflügel! Er ist ein großer Held. Er wird wissen, was hier vor sich geht!“
Schatten sperrte erstaunt den Mund auf. Chinook nannte ihn einen Helden. War das ein Witz? Aber schon an dem hoffnungsvollen Ausdruck in Chinooks Gesicht konnte er erkennen, dass er es ernst meinte. Schatten musste fast lachen, aber dann sah er, wie sich ihm alle anderen Fledermäuse voller Erwartung zuwandten. Er holte tief Luft. Er war sich sicher, dass er nicht die Antworten hatte, die sie wollten.
„Wie sind wir hierher gekommen?“, fragte eine Langhaarfledermaus.
„Sie haben viele von euch im Schlaf geholt“, sagte Schatten. „Hunderte von euch. Die Menschen
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