Sonnenflügel: Roman. Band 2 der Fledermaus-Trilogie (German Edition)
die Menschen gekommen sind, sonst wäre er jetzt tot. Was macht Goth hier drinnen?“
„Sie müssen ihn wieder eingefangen haben, aber die Ringe ...“
„Weg, ich weiß“, sagte sie. „Und seine Flügel, hast du die gesehen?“
„Keine Narben.“
Marina nickte betrübt. „Vielleicht hast du Recht, Schatten, vielleicht studieren sie uns nur für irgendetwas. Wir müssen es den anderen mitteilen.“ Schatten wollte sich weiter von der Tür entfernen. Es würde wahrscheinlich nicht lange dauern, bis die Menschen aus dem Wald zurückkämen, und sie würden ganz sicher nach ihnen suchen. Doch wohin?
Der Gang erstreckte sich anscheinend unendlich weit in beide Richtungen mit Türen auf jeder Seite. Schatten schloss die Augen und fand schnell seine Orientierung wieder.
„Okay, vielleicht verläuft dieser Gang hinter allen drei Wäldern entlang, erst an Goths, dann an dem der Eulen, dann an unserem. So kommen die Menschen in die Wälder hinein.“
Marina nickte. „Wir folgen ihm zu unserem eigenen Wald?“
„Alle diese Türen auf der rechten Seite führen zu ihm, oder?“ Er schaute sie an und hoffte auf Zustimmung. „Wir warten, bis ein Mensch eine Tür aufmacht, dann schlüpfen wir hinein.“
„Könnte sein, dass wir lange warten müssen. Was ist mit denen hier?“, fragte sie und wies mit dem Kopf zu den Türen auf der linken Seite des Ganges.
Schatten zuckte mit den Achseln. „Vielleicht führen sie tiefer in das Gebäude hinein oder zu anderen Wäldern – oder nach draußen“, fügte er hoffnungsvoll hinzu.
Plötzlich ertönten Schritte und ein weiblicher Mensch ohne Kopfschutz näherte sich. Schatten hielt den Atem an, als sie unter ihnen vorbeiging. Die Decken waren zwar hoch, aber sie hatte eine dieser Stangen. Sie konnte leicht hinaufreichen und nach ihnen stochern. Glücklicherweise blickte sie nicht nach oben. „Hinter ihr her!“, sagte Marina.
Sie folgten der Frau den Gang entlang, indem sie sich hoch im Schatten und in sicherem Abstand hielten. Nach einer Minute kam sie zu einer Tür in der linken Wand, klopfte und öffnete sie.
Eine Woge von furchtbarem Weinen schwappte aus dem Raum heraus vermischt mit Schmerzensschreien und Angstrufen – und wurde sofort abgeschnitten, als sich die Tür mit einem Zischen wieder schloss. Der Gang summte leise, aber in Schattens Ohren tönten noch diese schrecklichen Schreie.
Es waren die Schreie von Fledermäusen.
„Sie sind da drin“, sagte er mit trockenem Mund. Marina schüttelte den Kopf, ihre Augen waren in panischem Entsetzen geweitet. „Ich möchte da nicht rein, Schatten. Das wird etwas wirklich ganz Schlimmes sein.“
„Das ist der Ort, wo sie uns hinbringen. Wir müssen da hinein“, sagte er heiser. Seine Gedanken waren nicht allzu klar, sondern irrten unkontrolliert hierhin und dorthin. „Wir müssen sehen, was da drin ist.“
Wieder ertönten Schritte auf dem Gang und Schatten konnte drei weitere Menschen kommen sehen. Zwei von ihnen trugen Käfige. Goth und die Eule. Sie hielten vor der gleichen Tür und drückten auf eine Reihe von Metallknöpfen. Schatten sah Marina an, die ängstlich den Kopf schüttelte.
„Was wäre, wenn mein Vater da drin ist?“, flüsterte er. Er sah, wie sie den Blick abwandte, dann aber schnell und resigniert nickte.
Die Tür ging zischend auf. Schatten ließ sich mit Marina von der Decke fallen und landete auf dem Rücken des Menschen, der als Letzter ging. Er klammerte sich vorsichtig an die losen Falten des weißen Gewandes, mit den Krallen fasste er gerade nur das Material und vermied ängstlich hindurchzustechen. Über sich sah er, wie sich Marina zwischen den Schulterblättern des Menschen festhielt. Er konnte spüren, wie die Kraft des Menschen durch das Wehen des Gewandes weitergeleitet wurde. Der Mann zögerte eine Sekunde. Er fühlt es, dachte Schatten voller Sorge, das zusätzliche Gewicht – aber dann folgte der Mensch eilig seinen Gefährten.
Jenseits der Tür ließen sie sich sofort fallen und flogen direkt zur hohen Decke. Dorthin erhob sich auch eine Flut von Klagen. Erst als er ganz oben war, drehte sich Schatten um und blickte nach unten.
Er blinzelte. Der Raum tat seinen Augen weh, er war noch heller als der Gang. Da war außerdem ein schrecklicher Geruch von Schweiß, von Körpern in Panik, von Mündern mit dem Geschmack von Angst.
Durch die ganze Länge des Raumes erstreckten sich zwei erhöhte Tröge, so breit wie große gefallene Bäume. Sie sahen für Schatten so aus,
Weitere Kostenlose Bücher